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Zirkusluft

Zirkusluft

Titel: Zirkusluft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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die Uhr.
    »Jetzt ist es 5.45 Uhr, um acht sehen wir uns im Präsidium. Ich setze für zehn eine Pressekonferenz an, und bis dahin brauche ich irgendwas, was ich den Medien erzählen kann.«

22
    Der alte Mann mit den grauen Haaren, dem faltigen Gesicht und der gebückten Haltung trat aus der Tür, nahm seinen abgegriffenen Stock fest in die Hand und ging nach links. An der Kreuzung am Stern wartete er neben einer Frau mit einem Hund geduldig auf das Umspringen der Ampel, überquerte die breite Straße mit den Schienen in der Mitte und nahm Kurs auf die menschenleere Fußgängerzone. Mit langsamen, leicht unsicher wirkenden Schritten überquerte er den Königsplatz, an dessen oberen und unteren Ende jeweils ein Streifenwagen parkte, denen der Mann jedoch keine Beachtung schenkte. Er warf hier und da einen Blick in eines der hell erleuchteten Schaufenster auf der Oberen Königsstraße, der Einkaufsmeile der Stadt, und erreichte ein paar Minuten später den Friedrichsplatz. Dort wandte er sich nach links, wo der Himmel in verschiedenen Violett- und Orangetönen den neuen Tag ankündigte. 50 Meter weiter stieg er langsam und ohne jede Form von Eile die acht Stufen unter dem Altan vor dem ehemaligen Roten Palais hinauf. Oben angekommen, drehte er sich um, holte eine Tüte mit Sonnenblumenkernen aus der rechten Tasche seines Mantels und warf ein paar davon vor seine Füße. Sofort strömte ein Dutzend der immer reichlich auf dem Platz versammelten Tauben herbei und fing gierig an zu picken.

     
    Der Blick des Mannes pendelte unauffällig zwischen den Vögeln vor seinen Füßen und dem riesigen Zelt des auf dem Friedrichsplatz gastierenden Zirkus’ hin und her. Er beobachtete, wie die kleine Stadt in der Stadt langsam erwachte. Wieder warf er ein paar Kerne vor sich und ließ seinen Blick dabei über das Areal gleiten.
    Auf der rechten Seite neben dem riesigen Vorstellungszelt gab es ein kleineres, ebenfalls in den Hausfarben Rot und Schwarz leuchtendes Vorzelt, in dem die Restauration, ein Café, sowie der Souvenirladen untergebracht waren. Daneben standen eine Reihe mobiler Toiletten, ebenfalls rot und schwarz lackiert. Am linken Ende waren, säuberlich ausgerichtet, etwa zwölf Sattelschlepper geparkt. Dahinter gab es eine Ansammlung von Wohnwagen, die vornehmlich von den Arbeitern benutzt wurden. Die Unterkünfte der meisten Artisten hatte man auf einem Ausweichplatz etwa zehn Minuten entfernt untergebracht.

     
    Hinter dem Zelt, vor dem Blick des Mannes verborgen, befand sich ein riesiger, isolierter Wassertank, den der Zirkus für sein Programm brauchte. Am Ende der Show wurde ein überdimensionierter gläserner Bottich in die Zeltmitte geschoben, mit dem Wasser aus dem Reservoir befüllt und von zwei Entfesselungskünstlern benutzt.
    Auf der anderen Längsseite des Zeltes, direkt im Blickfeld des Mannes, standen drei Container, in denen die gesamte Technik des Zirkus untergebracht war. Der linke war bis unter die Decke mit Elektroschaltkästen vollgestopft und verteilte und sicherte den von zwei Außenanschlüssen bereitgestellten Strom. Aus dem mittleren drang ein heiseres, gedämpftes Brummen, das an den Klang eines großen Ventilators erinnerte. Hier wurde die Wärme erzeugt, die es den Zuschauern ermöglichte, auch bei Minusgraden in einem gut beheizten Zelt die Vorstellung anzuschauen. Rechts daneben stand ein kleinerer Container auf einem leichten Lkw, in dessen Innern sich ein speziell geprüfter, doppelwandiger Tank mit dem nötigen Brennstoff befand. Wie alles, was zum Zirkus gehörte, waren auch diese Fahrzeuge in Rot und Schwarz lackiert.

     
    Der Mann warf ein paar weitere Kerne auf den Boden, steckte die Tüte zurück in den Mantel, stützte sich mit beiden Händen auf dem Stock ab und sah zu den Tauben hinunter. Dann hob er den Kopf leicht an und fokussierte seinen Blick auf den mittleren Container. Er sah, dass von dort zwei riesige rote Schläuche mit etwa 50 Zentimeter Durchmesser ins Innere des Zeltes führten, ein weiterer war am Vorzelt angeschlossen. Ein vierter, sehr viel dünnerer, führte um das Zelt herum auf die andere Seite und endete am Wassertank. Über diese Schläuche wurde die von einem Brenner erzeugte heiße Luft mithilfe eines großen Gebläses in die Zelte und zum Tank transportiert. Der aufmerksame Beobachter auf den Treppenstufen fragte sich einen Moment lang, wie viel Heizöl diese Anlage wohl am Tag verbrauchen würde, verwarf den Gedanken jedoch schnell und konzentrierte

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