Zirkusluft
Bett und beschimpfst ihn. Er schimpft zurück, ein Wort ergibt das andere. Dann beruhigt er sich ziemlich schnell, erzählt dir von seinen gestiegenen Chancen, Rathauschef zu bleiben, weil er einen neuen Gönner gefunden hat, der ihn finanziell unterstützen will. So weit korrekt?«
»Korrekt«, antwortete sie.
»Ich will jetzt nicht psychologisieren, Maria, aber wenn ich nach Hause komme und meine Frau vor mir aus dem Bett abhaut, dann ist das eine Demütigung erster Güte. Also habe ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich verprügle sie, oder ich plustere mich auf wie ein Pfau und gebe ihr zu verstehen, dass sie einen Riesenfehler macht, weil ich nämlich der Mäc bin, an dem auch in Zukunft niemand vorbeikommt. Und da Verprügeln schon seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr angesagt ist, plustere ich mich eben auf. Das hat außerdem den Vorteil, dass man sich am nächsten Morgen noch in die Augen sehen kann.«
Er wartete auf eine Reaktion, aber es kam keine.
»Bist du noch dran?«
»Natürlich. Ich denke nach.«
»Und?«
»Du glaubst, dass er lügt?«
»Es ist mir egal, ob er lügt, aber ich könnte es mir vorstellen. Offen gestanden, stellt sich mir schon länger die Frage, warum er dieses ganze Ehemärchen noch immer mitspielt.«
»Weil er Politiker ist und wiedergewählt werden will. Aber das hab ich dir schon dutzendfach erklärt.«
»Stimmt.«
Wieder eine kurze Pause.
»Du meinst also, ich sollte mich ins Bett legen und so tun, als hätte er gelogen?«
»Hast du eine andere Möglichkeit?«
Noch eine Pause.
»Eigentlich nicht. Aber ich will nicht, dass er im März wieder zum OB gewählt wird.«
»Ich weiß. Vielleicht solltest du über einen Plan B nachdenken, falls er’s doch wieder wird. So schwer das auch sein mag.«
»Mach ich. Und du hast recht, dieser Gedanke ist wirklich schwer. Aber vielleicht nicht so schwer wie der, ein paar weitere Jahre mit ihm zu verbringen.«
»Siehst du. Hat er denn erwähnt, wer der mysteriöse Geldgeber ist?«
»Ach was, nein. Und wenn ich ernsthaft darüber nachdenke, komme ich, glaube ich, zum gleichen Schluss wie du, dass er nämlich gar keinen hat und sich nur aufblasen wollte.«
»Aufplustern.«
»Von mir aus auch das. Auf jeden Fall hat es mir gutgetan , mit dir zu telefonieren. Vielen Dank.«
»Dafür nicht. Meinst du, du kannst jetzt schlafen?«
»Ich glaub schon. Die Tür hab ich auf jeden Fall abgeschlossen, um mir weitere Überraschungen zu ersparen.«
»Schön. Dann schlaf gut.«
»Du auch. Und danke.«
»Immer wieder gerne.«
»Paul?«
»Ja, Maria?«
»Ich liebe dich.«
Mehr als sechs Jahre hatte Lenz auf diese drei Worte warten müssen, und in dieser Nacht kamen sie ihm vor wie das Normalste der Welt.
»Ich dich auch.«
Der Kommissar nahm einen weiteren Schluck Wasser, trottete zurück ins Schlafzimmer und lag gerade wieder im Bett, als sein Telefon erneut klingelte. Ohne auf das Display zu sehen, nahm er den Anruf an.
»Na, noch was vergessen?«, fragte er vergnügt und ohne Begrüßung.
Als Antwort hörte er ein Schlucken, danach eine vertraute Männerstimme.
»Paul, bist du das?«
Lenz riss die Augen auf, setzte sich aufrecht und nahm das Telefon ans andere Ohr.
»Thilo?«
»Klar, was denkst du denn. Hast du jemand anderen erwartet?«
»Nein, nicht direkt. Ich glaube, ich hab gerade schlecht geträumt.«
»Dann aber garantiert mit dem Telefon am Ohr. So schnell bist du nämlich noch nie am Rohr gewesen, wenn ich dich nachts rausgeklingelt hab.«
»Kann sein. Was gibt’s, Thilo?«
»Eine üble Sache. Wie es aussieht, sind zwei Kollegen erschossen worden.«
»Ach du Scheiße. Bist du unterwegs?«
»Stehe in drei Minuten vor deiner Tür.«
Lenz sprang in das kleine japanische Cabrio, schnallte sich an und drehte die Heizung voll auf. Hain wendete und gab Gas.
»Was ich bis jetzt weiß, ist, dass vor etwa einer halben Stunde der Notruf einer Kollegin von ›Holland Ende‹ über den Funk kam. Zwei Minuten später sind die ersten Streifenwagen am Tatort gewesen und haben gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Stadt dichtgemacht wurde. Bis jetzt ist über den Tathergang überhaupt nichts bekannt, auch nicht, ob es einer oder mehrere Täter waren.«
Lenz antwortete nicht. Erst, als sie die letzte Bahnbrücke passiert hatten und das Zucken der Blaulichter am Tatort schon sehen konnten, drehte er den Kopf.
»Weißt du, wen es erwischt hat?«
»Nein, keine Ahnung. Es sollen ein Kollege und eine Kollegin sein. Er
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