Zirkusluft
Erdem stellte eine kurze Frage, bekam eine ebenso kurze Antwort und klärte den Kommissar auf.
»Er ist vor fünf Minuten gegangen.«
»Hat er gesagt, wo er hin will?«
»Nein.«
24
Der Mann, der sich Peter Kommol nannte, sprang aus der Straßenbahn, überquerte den Friedrichsplatz und steuerte auf den Haupteingang des Zirkus zu. Dort sah er sich kurz um, ging mit federnden Schritten weiter ins Innere des Zeltes und hatte kurze Zeit später seinen Gesprächspartner vom Vortag gefunden. Gunnar Heilmann stand mit hochrotem Kopf und wild gestikulierend inmitten einer Gruppe von Zirkusarbeitern und redete laut auf sie ein. Als er Kommol erkannte, scheuchte er die Truppe auseinander und kam auf ihn zu.
» Hi , Pete, schön, dass du da bist. Dachte schon, du hättest es dir anders überlegt.«
Kommol sah erschrocken auf seine Uhr.
»Nein, lass stecken, du bist nicht zu spät. Ich hatte nur gerade mal wieder Ärger mit den Bühnenarbeitern, weil hinten und vorne nichts so klappt, wie ich es erwarte.« Er machte ein genervtes Gesicht. »Irgendwann gibt es wieder einen Toten, weil die Brüder es einfach nicht fertigbringen , gescheit zu arbeiten. Und es ist ihnen einfach nicht klarzumachen, dass das Leben der Artisten auch von ihren Handgriffen abhängt.«
»Gab es denn schon Tote hier?«
»Leider, ja. Vor zwei Jahren ist einer der Artisten von ganz oben abgeschmiert.« Er fuhr sich mit dem Zeigefinger am Hals entlang und machte dabei ein knirschendes Geräusch. »War sofort tot, der arme Kerl. Und ein echt guter Kumpel. Aber um eine Wiederholung zu verhindern, hab ich dich ja engagiert. Hast du an den Sozialversicherungsausweis gedacht?«
Kommol griff in die Innentasche seiner Jacke und kramte das rosafarbene Dokument hervor.
»Klasse. Dann lass uns gleich bei den Schlipsträgern vorbeigehen und das klarmachen.«
Kurz darauf war Kommol offiziell Mitarbeiter des Zirkus. Er unterschrieb einen knappen Arbeitsvertrag, wurde angehalten, während der Arbeit nicht zu trinken und keine Drogen zu konsumieren, sich nicht in Schlägereien verwickeln zu lassen und nichts zu stehlen.
»Wie ich gesagt hab, total easy «, freute Heilmann sich, nachdem sie die Tür des Organisationswagens hinter sich geschlossen hatten und auf dem Rückweg ins Zelt waren.
»Ja, das hatte ich mir, ehrlich gesagt, schwieriger vorgestellt. Aber das lag bestimmt an dir, Gun .«
»Wo du recht hast, hast du recht. Ich hab mich gestern Abend kurz mit dem Big Boss unterhalten und ihm von dir erzählt, danach war die Sache geritzt.«
Auf Höhe des Bratwurststandes wurde Kommol plötzlich langsamer und blieb dann vor einer der roten Röhren stehen, die auf dem Boden lagen und aus denen warme Luft in das Vorzelt strömte.
»Sag mal, sind das eure Heizungsrohre? Diese Riesenapparate?«
Heilmann fing laut an zu lachen.
»Klar, Mann, was glaubst du denn? Irgendwie müssen wir die Bude doch warm kriegen. Sonst können wir unser Winterprogramm gleich vergessen.«
»Geil! Und wo kommt die warme Luft her?«
»Zeig ich dir gleich. Vorher müssen wir kurz bei Igor, unserem Schweißer, vorbeigehen, weil an einem der Trailer ein Unterfahrschutz abgerissen ist.«
Wieder machte er mit der Hand eine wegwerfende Bewegung.
»Außer mir sieht das scheinbar niemand. Oder will es niemand sehen, was aufs Gleiche rauskommt. Wenn ich hier nicht überall meine Augen und Ohren hätte, ginge es wirklich drunter und drüber.«
Zwei Minuten später hatte Heilmann den Schweißer gefunden und ihn angewiesen, den Schaden an einem der Anhänger zu reparieren.
»Und mach es heute noch, verstanden?«, brüllte der Sicherheitschef noch, als er und Kommol schon fast außer Hörweite des Russen waren.
»So, was machen wir jetzt? Als Nächstes…«
»Wolltest du mir nicht zeigen, wo die warme Luft herkommt, mit der das Zelt geheizt wird?«, unterbrach ihn Kommol vorsichtig.
»Klar, Pete, hatte ich schon vergessen. Manchmal glaub ich, dass ich Alzheimer hab. Also, lass uns schnell rübergehen in den Heizcontainer.«
Heilmann stürmte mit raumgreifenden Schritten durch das Hauptzelt und das Vorzelt, grüßte hier einen Artisten, wies da einen Arbeiter rüde auf ein Fehlverhalten hin, steuerte dann den mittleren der drei 40-Fuß-Container vor dem Zelt an und zog sein Schlüsselbund aus der Jackentasche.
»Hier verbraten wir an jedem Tag, je nach Außentemperatur, 600 bis 1.000 Liter Heizöl, mein Freund. Das wird im Container nebenan gebunkert.«
Er drehte den Schlüssel
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