Zirkusluft
und Tayfun nicht so genau genommen, und weil sie das in der letzten Zeit immer wieder in der Teestube und von der Teestube aus gemacht haben, gab es viele Konflikte, wie Sie sich sicher vorstellen können.«
»Was haben sie denn gemacht?«
Erdem hob die Augenbrauen und holte tief Luft.
»Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Uns, also unseren Türkischen Kulturverein und unsere Teestube, gibt es schon ziemlich lange. Schon mein vor zwei Jahren verstorbener Vater war Mitglied. Und es war immer klar, dass dieser Verein zwar traditionell, aber auch liberal und weltoffen geführt werden würde. Viele Vereine, die in den letzten Jahren gegründet wurden, sind anders ausgerichtet. Das war uns egal. Zu uns sind Türken aus der ganzen Stadt gekommen und nicht nur aus dem Stadtteil, weil ihnen die Richtung gefallen hat. Damit sind wir immer bestens gefahren und hatten ein gut funktionierendes Vereinsleben.«
Er machte eine kurze Pause.
»Natürlich sind auch wir religiös, Herr Kommissar. Wir sind gute Moslems, das können Sie mir glauben, aber in einer eher liberalen Art, was durchaus mit dem Koran zu vereinbaren ist. Wir gehen zum Gebet, essen kein Schweinefleisch, jedenfalls die meisten von uns nicht, trinken keinen oder wenig Alkohol und freuen uns, wenn unsere Töchter uns keine Schande machen. Aber wir würden nie von ihnen oder unseren Frauen verlangen, dass sie in der Öffentlichkeit ein Kopftuch tragen, weil der Koran das nach unserer Interpretation nicht verlangt. Wir wollen uns in Deutschland, dem Land, in dem wir leben, integrieren und nicht als fundamentalistische Fremdkörper wahrgenommen werden, die in ihrem Getto leben. Und genau das wollten und wollen diese Jungs unterwandern und verhindern.«
»Die Jungs sind Topuz und Özönder ?«
»Richtig. Manchmal gab es noch einen oder zwei andere, aber der harte Kern, das waren die beiden. Wann das alles angefangen hat, kann ich Ihnen gar nicht so genau sagen. Irgendwann ist mir und ein paar anderen Mitgliedern, meist Älteren, die nicht mehr arbeiten müssen und schon früher die Teestube besuchen können, aufgefallen, dass die Jungs, so nenne ich sie jetzt mal, immer öfter und zu ungewöhnlichen Zeiten in der Teestube rumlungerten. Obwohl rumlungern eigentlich falsch ist, weil sie ständig irgendwas geplant oder ausgeheckt haben. Und sie haben immer wieder versucht, das Vereinsleben nach ihrer Denkweise umzukrempeln. Ständig haben sie die Anwesenden ermahnt, sich strenger an den Koran zu halten und sich nicht zu westlich, wie sie es nannten, zu verhalten. Manche hatten den Eindruck, es mit einer Art Religionspolizei zu tun zu haben. Nach und nach ist das vielen Mitgliedern auf die Nerven gegangen, und es hat Konflikte gegeben, aber die Jungs wollten sich nichts sagen lassen, fühlten sich im Recht. Neulich erst gab es wieder eine Kontroverse, weil ein paar von ihnen den ganzen Tag unseren Computer in Beschlag genommen hatten. Der ist für viele, gerade Ältere, zu einem Briefkasten, zum einzigen Briefkasten für Meldungen aus der Heimat geworden.«
»Was haben sie am Computer getrieben?«
»Blödsinn. Sie haben sich an Diskussionen beteiligt und dafür gesorgt, dass die Stimme des muslimischen Fundamentalismus möglichst laut zu hören ist.«
Lenz sah ihn irritiert an.
»Na ja«, fuhr Erdem fort, »es gibt jede Menge Diskussionen in Foren, und da haben sie sich beteiligt. Unser Administrator hat glücklicherweise dafür gesorgt, dass wir uns das, was sie da gemacht haben, ansehen konnten.«
»War es so schlimm?«
Wieder holte der Türke tief Luft.
»Schlimm? Was ist schon schlimm, Herr Kommissar? Es hat einfach genervt zu sehen, dass sie nur der Provokation wegen völlig überzogenen Unsinn behauptet haben. Und manches davon war sicherlich auch illegal.«
»Zum Beispiel?«
»Auf Spiegel Online haben sie einen Artikel eines bekannten Journalisten kommentiert, der als islamkritisch bekannt ist. Dabei haben sie dazu aufgerufen, ihn für seine Meinung exemplarisch zu bestrafen. Das war eine verdeckte Morddrohung, wenn Sie mich fragen.«
»Was haben Sie dagegen unternommen?«
»Wir haben ihnen den Zugang zu unserem Computer verboten. Aber was hatte das schon zur Folge? Nichts!«
Er lehnte sich zurück und machte mit der rechten Hand eine wegwerfende Geste.
» Bülent Topuz schwamm sozusagen im Geld. Dem war es völlig egal, ob er bei uns ins Internet kam oder nicht. Nachdem wir den beiden den Zugang untersagt hatten, kamen sie mit Laptops und
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