Zirkusluft
Polizisten nicht in die Wohnung lassen. Dann jedoch hatte sich das Mädchen durchgesetzt.
»Ich mache Ihnen auf. Fest drücken, die Tür klemmt ein bisschen.« Damit verschwand ihr Kopf.
Im Hausflur roch es nach Salmiak, aber alles sah sauber und aufgeräumt aus. Aus der Nähe betrachtet, wurde aus dem Mädchen eine junge, attraktive Frau in engen Jeans und knallbuntem Top, die ihn bat, die Schuhe auszuziehen.
»Ist so Sitte bei uns«, erklärte sie freundlich und geleitete ihn ins Wohnzimmer.
»Das ist meine Mutter«, stellte sie die dicke Frau vor, die sich auf der Couch niedergelassen hatte und den Kommissar misstrauisch beäugte, »die leider nie richtig Deutsch gelernt hat. Und ich bin Demet Özönder , die Schwester von Tayfun .«
Lenz reichte beiden die Hand, kramte seinen Dienstausweis aus der Jacke und stellte sich vor.
»Sie wissen vielleicht, dass gestern ein guter Freund Ihres Bruders das Opfer eines Verbrechens geworden ist«, begann er und sah dabei die junge Frau an.
»Wobei es ausnahmsweise mal den Richtigen getroffen hat«, erwiderte sie selbstbewusst.
Der Polizist legte die Stirn in Falten und sah sie ernst an.
»Bei allem Respekt, Frau Özönder , der junge Mann ist ermordet worden.«
Demet Özönder beugte sich nach vorne und blickte Lenz tief in die Augen.
»Ich weiß, Herr Kommissar. Aber das ändert absolut nichts an meiner Meinung über diesen Kerl.«
»Und was hat bei Ihnen zu dieser Meinung geführt?«
»Er. Er und seine Denke.«
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Seine Denke gegenüber Frauen, Männern und Frauen, der Ehe, Respekt, Religion, Kopftüchern und noch einigen anderen Dingen. Er war ein fundamentalistischer Hardliner, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Lenz reagierte nicht.
»Na ja«, fuhr sie fort, »mein Bruder hat diesen Mistkerl vor ungefähr einem Jahr zum ersten Mal hier angeschleppt. Dazu muss man wissen, dass Tayfun bis dahin ein völlig normaler Türkenjunge in Deutschland gewesen ist. Immer eine große Klappe, immer super gestylt, immer nur Mädchen im Kopf. Und dann der totale Umschwung.«
Sie deutete auf ihre Mutter.
»Selbst meiner Mutter war das nicht geheuer, dieser Religionsmist und das alles.«
»Was ist mit Ihrem Vater?«
»Der ist vor ein paar Jahren mit einer Deutschen davongelaufen, die jünger und schlanker ist als meine Mutter. Angeblich betreibt er ein Restaurant in Duisburg, aber das weiß ich nur vom Hörensagen.«
»Und Sie glauben, dass Bülent Topuz Ihren Bruder auf diese Schiene gebracht hat und an seiner Veränderung schuld gewesen ist?«
»Klar, wer denn sonst? Das ging innerhalb von ein paar Wochen. Ich konnte es kaum glauben und hab es zuerst für dummes Gerede gehalten. In einer stillen Stunde hat er mir dann erklärt, dass er es wirklich ernst meint und mich aufgefordert, in Zukunft ein Kopftuch zu tragen, wenn ich nach draußen gehe.«
»Und?«
Sie fing an zu grinsen.
»Ich hab ihm was gehustet, was sonst? Tayfun hat mich seitdem in Ruhe gelassen, aber wann immer dieser Topuz hier aufgetaucht ist, ging die gleiche Leier los. Kopftuch, Mann aussuchen, heiraten, und so weiter. Vor zwei Monaten ungefähr ist es auch meiner Mutter zu viel geworden, und sie hat ihn gebeten, nicht mehr zu uns zu kommen. Das gab natürlich wieder Stunk mit Tayfun .«
»Und Topuz hat sich daran gehalten und ist nicht mehr aufgetaucht?«
Sie nickte.
»Ja, bis auf ein Mal. Meine Mutter und ich waren in Hannover auf einer Geburtstagsfeier und wollten dort übernachten, haben es uns aber anders überlegt und sind nachts noch zurückgefahren. Die beiden saßen hier rum und haben irgendwas mit ihren Laptops veranstaltet. Und ich kann Ihnen sagen, dass ich meine Mutter in meinem ganzen Leben noch nie so sauer erlebt hab. Seitdem hat er sich hier nicht mehr blicken lassen, da bin ich sicher.«
»Hat Ihr Bruder eine Freundin?«
Demet Özönder verzog das Gesicht.
»Nicht, dass ich wüsste. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich irgendein Mädchen mit so einem Hardliner abgeben würde, es sei denn, sie wird von ihrer Familie dazu gezwungen.«
»Und er lebt hier, in dieser Wohnung? Oder hat er noch irgendwo anders eine Wohnung oder ein Zimmer?«
»Nein, er lebt hier. Eine eigene Wohnung hat er nicht.«
Lenz atmete tief durch, bevor er weiter fragte.
»War er letzte Nacht hier?«
»Warum? Hat er was angestellt?«
Der Kommissar sah von einer Frau zur anderen.
»Haben Sie heute noch keine Nachrichten
Weitere Kostenlose Bücher