Zirkusluft
gehört?«
»Nein. Ich arbeite im Krankenhaus und hatte Nachtwache. Auf dem Heimweg mit dem Fahrrad habe ich nichts mitgekriegt und wollte nur noch in mein Bett. Was ist denn passiert?«
»Ein Polizist ist erschossen worden.«
Erneut zog er das Phantombild aus der Jacke und hielt es der Frau hin.
»Kenne ich nicht. Aber das ist garantiert nicht Tayfun .«
Frau Özönder wollte etwas von ihrer Tochter wissen, doch die winkte ab. Wieder gab es eine kurze, erregte Diskussion zwischen den beiden. Dann wurde der Ton der Tochter sachlicher. Sie legte ihre Hand auf den Arm der Mutter und redete beruhigend auf sie ein. Die Frau antwortete leise und fing dabei an zu weinen.
»Meine Mutter sagt, er ist erst um 4.30 Uhr heute Morgen nach Hause gekommen.«
»Hat er gesagt, wo er gewesen ist?«
»Nein. Aber dass er so spät, oder besser so früh, nach Hause kommt, ist nicht ungewöhnlich. Das passiert mindestens ein-, zweimal die Woche.«
»Und Sie wissen wirklich nicht, was er in dieser Zeit macht?«
»Ich hab ihn einmal gefragt, aber er wollte mir nichts dazu sagen. Meinte nur, er würde wie ein guter Mensch leben, was man von mir nicht behaupten könnte.«
»Warum meinte er das?«
»Fragen Sie ihn, wenn Sie ihn sehen. Ich will es nicht wissen, es interessiert mich nicht.«
»Kann ich mir sein Zimmer ansehen?«
Wieder übersetzte die junge Frau seine Frage, woraufhin die Mutter nach kurzem Zögern nickte.
»Geht klar, kommen Sie.«
Demet Özönder ging voraus in den Flur und öffnete die letzte Tür auf der rechten Seite.
»Bitte«, sagte sie.
Lenz betrat den kleinen Raum, wo vor dem Fenster ein mit Papieren vollgeladener Schreibtisch und in der gegenüberliegenden Ecke ein schmales Bett stand. Es roch nach Schweißfüßen.
»Er lüftet zu wenig«, schien sie seine Gedanken zu erahnen und zog einen Flügel des Fensters nach innen. Frische, kalte Luft strömte in das Zimmer.
»Kann ich mich ein bisschen umsehen?«
Sie machte ein gleichgültiges Gesicht.
»Ich bin zwar davon überzeugt, dass Tayfun mit diesem Polizistenmord nichts zu tun hat, aber ich wüsste nicht, warum Sie ihm nicht mal so richtig auf die Füße treten sollten. Vielleicht bringt ihn das ja zur Vernunft.«
»Sie können auch Nein sagen.«
»Bei meinem Zimmer würde ich das bestimmt machen«, erwiderte sie grinsend.
»Warum glauben Sie, dass Ihr Bruder mit der Sache nichts zu tun hat?«
»Weil er ein Maulheld ist. Das war er schon immer, und er wird es immer bleiben. Er hat keine Eier in der Hose.«
Nun musste Lenz grinsen.
»Aha«, machte er und überflog die Papiere auf dem Schreibtisch. Dann zog er eine Schublade auf. Wieder nur Papiere. Er durchquerte den Raum, öffnete die linke Tür des Schranks und stöhnte auf. Die einzelnen Fächer waren vollgestopft mit frischer und getragener Kleidung, Büchern, CDs und Papieren. Auf der anderen Seite sah es genauso aus und roch ähnlich.
»Jetzt schäme ich mich ein wenig«, hörte er die junge Frau hinter sich sagen.
»Kein Problem, ist ja nicht Ihre Müllhalde.«
Er schloss die Türen, rieb sich die Hände und drehte sich um.
»Das war’s schon.«
»Schade. Ich dachte, Sie holen jetzt Einweghandschuhe aus der Hosentasche, nehmen jede Menge Fingerabdrücke und stellen hier alles auf den Kopf.«
Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
»Das ist nur im Fernsehen so. In der Realität sieht das immer ganz anders aus.«
»Auch gut. Soll ich Tayfun was ausrichten, wenn er kommt?«
Lenz zog eine Karte aus der Tasche und reichte sie ihr.
»Er soll mich anrufen. Es liegt zwar…«
Ihr Mobiltelefon klingelte. Sie meldete sich, wartete und sprach ein paar Sätze. Dann gab es eine längere Pause, in der sie zuhörte. Danach setzte sie zu einer Tirade an, die Lenz dieser jungen Frau niemals zugetraut hätte. Sie schrie, stampfte mit dem Fuß auf, verzog das Gesicht zur Grimasse, war für einen Moment ruhig und fing wieder an zu schreien. Ein paar Sekunden später war es vorbei.
»Dieses Arschloch!«, brüllte sie und sah ungläubig das Telefon in ihrer Hand an.
»Ihr Bruder?«, fragte der Kommissar vorsichtig.
Demet Özönder holte tief Luft, schloss die Augen und atmete aus.
»Ja, mein Herr Bruder. Er wollte mich anpumpen. Er ist angeblich in Schwierigkeiten und braucht Geld. So ein Idiot!«
»Wo ist er?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Wollte er mir nicht sagen. Ich habe ihn gefragt, ob er etwas mit dem Mord zu tun hat, aber er hat mir nicht geantwortet. Hat nur gesagt,
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