Zirkusluft
ich solle mir keine Sorgen machen und dass er sich in ein paar Tagen meldet.«
»Haben Sie ihm gesagt, dass ich hier bin?«
»Natürlich, aber es hat ihn nicht interessiert.«
»Geben Sie mir seine Telefonnummer?«
»Klar«, antwortete sie, ging zum Schreibtisch, riss einen Zettel von einem Notizwürfel und schrieb.
»Bitte. Und jetzt glaube ich langsam doch, dass er sich ernste Scherereien eingehandelt hat. Er klang echt scheiße.«
Lenz deutete auf seine Visitenkarte, die sie noch immer in der Hand hielt.
»Ich werde ihn kontaktieren, aber wenn er sich wieder bei Ihnen meldet, soll er mich anrufen. Sagen Sie ihm das!«
26
»Thilo hat gerade die Fahndung nach ihm angeleiert. Ich hab ihn von unterwegs angerufen«, erklärte der Hauptkommissar seinem Freund. »Und du sorgst jetzt dafür, dass uns in den nächsten Minuten dein verdammtes Telefon in Ruhe lässt.«
Uwe Wagner lehnte sich zurück, stellte die Kaffeetasse auf den Tisch, legte den Telefonhörer daneben und sah seinen Freund noch etwas skeptischer an.
»Und du glaubst wirklich, dass dieser Typ etwas mit dem Mord zu tun hat? Ich kann mir das ganz und gar nicht vorstellen, so wie du ihn schilderst.«
»Ob ich es mir vorstellen kann, weiß ich nicht. Allerdings ist er nach dem Anruf bei seiner Schwester zumindest in den Kreis der Verdächtigen gerückt. Dass er nicht selbst geschossen hat, steht nach der Aussage der Polizistin und dem Phantombild wohl fest, aber vielleicht weiß er irgendwas, was er uns nicht erzählen will.«
»Und zu allem Unglück hat vor einer halben Stunde die DVP eine Demo morgen Mittag angemeldet.«
Lenz sah ihn an.
»Die Deutsche Volkspartei steht auf dem Wahlzettel für die Kommunalwahl, der demnächst in deinen Briefkasten flattert. Ziemlich rechte Gesinnung, um es mal wohlwollend auszudrücken.«
Die Miene des Kommissars veränderte sich keinen Iota. Wagner schüttelte fassungslos den Kopf.
»Sag mal, Paul, interessierst du dich eigentlich gar nicht für das, was in deiner Stadt so vorgeht? Politisch, meine ich. Und ich meine damit nicht, ob es dich brennend interessiert, wer demnächst auf dem Stuhl des OB Platz nimmt, sondern auch eine Etage darunter.«
Von der anderen Seite des Schreibtisches erntete er ein Schulterzucken.
»Ich hab dafür keine Zeit, Uwe. Und offen gesagt, interessiert es mich nicht, welcher Parteigänger Kassel noch tiefer in die roten Zahlen befördert. Es ändert sich doch sowieso nichts.«
»Auch eine Meinung«, erwiderte Wagner. »Also, dann will ich dich mal kurz aufklären: Die DVP hat gute Chancen, ins Rathaus einzuziehen. Und das mit Parolen, die mir die Kotze in den Hals treiben. Ihre Zielscheiben sind Ausländer, Schwule und noch einiges andere, was dem geneigten Arier ein Dorn im Auge ist.«
»Und wogegen wollen die demonstrieren?«
»Mich hat vorhin der Schneider vom Ordnungsamt angerufen, der sich ziemliche Sorgen macht. Offiziell ist die Demo wegen dem Mord an dem Polizisten angemeldet worden, aber Schneider befürchtet, dass die Bande mit ihrer Hetze gegen Ausländer beim Wahlvolk punkten will.«
Er beugte sich nach vorne und fixierte Lenz.
»Überleg doch mal, Paul. Wir suchen einen Türken, der im Verdacht steht, einen Polizisten erschossen zu haben. Das lassen die sich auf keinen Fall entgehen. Und ich kann mir leider nur zu gut vorstellen, wie von denen Stimmung gemacht wird.«
»Kann man ihnen den Spaß nicht einfach verbieten?«
»Willkommen in der Demokratie, Herr Kommissar. Der nächste Weg führt vor Gericht, und spätestens dann wird demonstriert, weil das durch unsere Gesetze so geregelt ist, wogegen weder du noch ich etwas haben sollten. Mir kommt’s nur hoch, wenn ich an diese Demagogen denke.«
»Also behalten wir sie im Auge und…«
Das Mobiltelefon in Wagners Hosentasche klingelte. Der Pressesprecher kramte das Gerät heraus, meldete sich und hörte ein paar Sekunden zu. Danach bedankte er sich und legte auf.
»Jetzt haben wir den Salat. Das war noch mal Schneider vom Ordnungsamt. Er hatte eben Besuch von einem Mitglied der Türkischen Gerechtigkeitsliga, Sektion Kassel. Die wollen auch demonstrieren, und zwar zur gleichen Zeit wie die DVP.«
»Läuft die Fahndung?«, fragte Lenz seinen Mitarbeiter ein paar Minuten später, als beide an Hains Schreibtisch saßen.
»Läuft.«
»Klasse. Und jetzt erzähle ich dir, warum wir überhaupt nach dem Typen fahnden«, strahlte der Hauptkommissar und berichtete von seinen Ermittlungen des Nachmittags.
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