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Zirkusluft

Zirkusluft

Titel: Zirkusluft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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wollte Lenz wissen, als sie wieder im Auto saßen.
    »Eigentlich ganz einfach. Wenn ich eine Mail verschicken wollte und auf gar keinen Fall zu ermitteln sein will, würde ich durch ein Wohngebiet fahren, alle 50 Meter anhalten und genau das probieren, was wir vorhin gemacht haben. Und du kannst sicher sein, dass ich spätestens nach dem dritten Stopp einen offenen Zugang hätte. Weil die meisten Menschen gar keine Ahnung haben, was bei W-LAN alles zu beachten ist. Manchen ist es offenbar auch scheißegal, ob sich ein Fremder am privaten Zugang bedient.«
    »Merkt man davon nichts? Ich meine, gibt es da keine Programme, die das erkennen und melden?«
    »Es gibt vermutlich für und gegen alles Programme, Paul, aber sie müssten installiert sein. Und wer seinen Zugang offen stehen lässt, so wie Söntgerath , der ist auch an diesen Schutzprogrammen nicht interessiert. Und nein, man merkt davon nichts.«
    »Das heißt, dass derjenige, der die Mails als Amygdala an Topuz geschickt hat, mit seinem Laptop hier auf dem Parkplatz im Auto gesessen hat?«
    »Vielleicht.«
    Hain betrachtete die Häuserfassade.
    »Er könnte sich allerdings auch in einer der Wohnungen aufgehalten haben. Deshalb sollten wir morgen früh zwei Kollegen mit dem Phantombild hierherschicken und die Nachbarn befragen.«
    »Du meinst, er könnte hier wohnen?«
    »Theoretisch schon, aber ich halte das für ausgeschlossen. Er hat sich so eine Mühe gemacht, Topuz für die Zeit des Mordes an Fehling aus dem Verkehr zu ziehen, dass ich ihm einen solchen Fehler nicht zutraue.«
    »Gut, das machen Heller und Rauball.«
    »Und wir sollten uns überlegen, ob wir uns bei Heini entschuldigen. Mittlerweile glaube ich ihm nämlich, dass die ganze Geschichte irgendwie zusammengehört und dahinter ein richtig heller Kopf die Fäden zieht, der gleichzeitig ein ziemlich erbarmungsloser Killer ist.«
    »Das machen wir, Thilo.«
    Er gähnte herzhaft.
    »Und jetzt will ich Feierabend machen.«
    »Vorher noch am Präsidium vorbei?«
    »Nein, ich hab keine Lust mehr. Wenn irgendwas Wichtiges gewesen wäre, hätten die Kollegen mobil angerufen. Bring mich einfach nach Hause.«
    Während der Fahrt schaltete Hain das Autoradio ein.
    Der Sender berichtete über die Ereignisse in Kassel. Am Rande wurde erwähnt, dass in einer Schule im Osten der Stadt ein türkischer Jugendlicher von deutschen Mitschülern krankenhausreif geschlagen wurde. Ein Zusammenhang wurde nicht hergestellt.

27
    Der alte, mit einem dunkelblauen Anzug und einem grauen Cashmeremantel bekleidete Mann reihte sich in die Schlange der Menschen ein, die auf den Ausgang zustrebten, nahm mühsam seine Reisetasche in die rechte Hand und wartete. Eine Minute später stand der Zug, die Türen öffneten sich, und die Menschen strömten ins Freie. Er achtete nicht auf die Lautsprecherdurchsage, die ihn am Berliner Ostbahnhof begrüßte, und die Reisenden, die sich rechts und links um ihn herum ihren Weg zum Ausgang bahnten. Langsam, fast bedächtig, setzte er seinen Stock auf, bevor er das linke Bein belastete, wobei die Tasche in der anderen Hand leicht hin und her schwang. Im Reisecenter kaufte er eine Fahrkarte erster Klasse nach Basel, bezahlte mit einem 500-Euro-Schein und saß die nächste Viertelstunde am Bahnsteig von Gleis 7, wo der Zug um 10.22 Uhr abfahren würde, auf einer Bank.

     
    Tatjana Medwedewa trug einen dunklen Hosenanzug, halbhohe Schuhe und einen edel aussehenden Kamelhaarmantel. In der linken Hand hielt sie eine kleine Handtasche, mit der rechten zog sie einen großen, silbernen Rollkoffer hinter sich her. An einer mit gelben Markierungen versehenen Zone stellte sie den Koffer neben sich ab, griff in die Manteltasche, kramte eine Packung Zigaretten heraus und steckte sich umständlich eine an. Mit gierigen Zügen rauchte sie die Hälfte, sah dabei immer wieder nach rechts und nach links, als warte sie auf jemanden, und drückte den Stummel schließlich in einem mit Sand gefüllten Aschenbecher aus. Offenbar war ihr kalt, denn sie rieb immer wieder mit den Händen über ihre Oberarme und trippelte von einem Fuß auf den anderen. Der alte Mann mit dem schlohweißen, gepflegten Vollbart beobachtete ihr Treiben aus dem Augenwinkel, sah, dass sich in diesem Moment ihre Haltung änderte und sie mit Erleichterung das Eintreffen von zwei Männern feststellte. Beide waren mit Jeans und Lederjacken bekleidet, trugen kurz gestutzte Bürstenhaarschnitte und sahen durchtrainiert aus. Nach einer förmlichen

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