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Zirkusluft

Zirkusluft

Titel: Zirkusluft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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Begrüßung und einigen vorwurfsvollen Gesten der Frau stieg das Trio in den seit ein paar Minuten bereitstehenden ICE 373. Der alte Mann griff nach seinem Stock, erhob sich, setzte sich langsam in Bewegung und kletterte kurze Zeit später in den Zug. Dort stellte er die Reisetasche neben sich, nahm seine beschlagene Brille ab, holte ein Tuch aus der Manteltasche und polierte die Gläser. Dabei sah er unauffällig in den Gang, wo der eine der beiden Begleiter gerade mit einem jüngeren Mann diskutierte, ihm etwas zusteckte und im Abteil verschwand. Mit ruhigen, bedachten Bewegungen steckte er das Tuch zurück, setzte die Brille wieder auf, griff nach seiner Tasche und drückte auf den elektrischen Türöffner. Die Glastür fuhr zurück und gab ihm den Weg in den Gang frei. Mit einem freundlichen Gesichtsausdruck sah er in das erste Abteil, in dem zwei ältere Frauen sich auf den Fensterplätzen gegenübersaßen, grüßte freundlich und ging weiter. Langsam, bei jedem Schritt des linken Beines auf den Stock gestützt, passierte er drei weitere Abteile, dann blickte er in Tatjana Medwedewas markantes Gesicht. Sie hob kurz den Kopf, als er die Tür erreicht hatte, wäre jedoch nie auf die Idee gekommen, diesen gebückt gehenden, weißhaarigen, gut situiert wirkenden Mann schon einmal gesehen zu haben, der ihr freundlich zunickte. Ihre Begleiter hatten sich der Jacken entledigt und sahen entspannt, aber hellwach aus. Der eine hatte sich neben die Frau gesetzt, der andere saß ihr gegenüber am Fenster, neben sich den großen silbernen Koffer.

     
    Eine Minute später öffnete der alte Mann die Tür des Abteils, in dem die beiden älteren Damen in eine angeregte Unterhaltung vertieft waren.
    »Ich wollte Sie eigentlich nicht stören, meine Damen, doch in den anderen Coupés herrscht schon ein großer Andrang. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich zu Ihnen geselle?«, fragte er mit knarrender Stimme.
    Beide schüttelten synchron die Köpfe.
    »Nein, nein, wo denken Sie hin. Bitte, nehmen Sie ruhig Platz.«
    Der Mann nickte dankbar.
    »Allerdings muss ich Sie auf den Umstand hinweisen, dass ich im Moment leider so gut wie nichts hören kann.«
    Er zog ein kleines Hörgerät aus der Tasche.
    »Die Batterien haben mich im Stich gelassen, und auf die Schnelle war kein Ersatz zu beschaffen. Wenn ich also nicht sehr unterhaltsam erscheine, so ist das kein böser Wille.«
    Die beiden Frauen sahen ihn verständnisvoll an.
    »Nein, lassen Sie nur. Meinem verstorbenen Mann ist das dumme Ding auch immer im falschen Moment ausgefallen!«, brüllte die linke. »Leider immer gerade dann, wenn ich etwas von ihm wollte«, fügte sie leise hinzu.
    Der Mann öffnete seine Reisetasche, kramte darin, bugsierte das Gepäckstück auf die Ablage über seinem Kopf, zog seinen Mantel aus, hängte ihn sorgfältig an einen Haken neben der Tür und setzte sich gegenüber.
    Als zehn Minuten später der Pfiff des Zugbegleiters ertönte und der ICE sich in Bewegung setzte, hatten die beiden Damen offenbar schon vergessen, dass sie nicht allein im Abteil waren, denn sie unterhielten sich laut und ohne jegliche Skrupel. Der Mann hatte schon vor der Abfahrt die Augen geschlossen und schien zu schlafen.

     
    Nach dem Halt in Berlin-Spandau öffnete eine junge Frau in blauer Uniform die Tür und begrüßte die drei Fahrgäste.
    »Kann ich Ihnen etwas zu essen oder zu trinken anbieten?«, fragte sie mit routinierter Freundlichkeit.
    »Vielen Dank, nein«, erwiderte die rechte der beiden Frauen und deutete auf eine kleine Kühltasche. »Wir sind für Bahnfahrten immer bestens vorbereitet.«
    Nun öffnete auch der Mann die Augen, sah der Bedienung ins Gesicht und lächelte.
    »Kann ich Ihnen etwas bringen? Ein Sandwich? Ein Glas Wein?«
    Er legte den Kopf zur Seite und zog entschuldigend die Schultern hoch.
    »Könnten Sie bitte etwas lauter sprechen? Ich höre leider nicht sehr gut.«
    »Die Batterien seines Hörgerätes sind alle«, ergänzte die linke Frau am Fenster.
    »Aha, kein Problem«, ließ die Bedienung wissen und wiederholte ihre Fragen deutlich lauter.
    »Nein, danke, ich benötige nichts«, antwortete der Mann. »Aber sehr freundlich, dass Sie sich danach erkundigen.«
    »Dieser Service ist in der ersten Klasse selbstverständlich.«
    Sie deutete auf einen kleinen Taster neben der Tür.
    »Wenn Sie es sich anders überlegen sollten, drücken Sie einfach auf diesen Knopf, und ich kümmere mich um Ihre Wünsche. Für den Fall, dass Sie

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