Zirkusluft
Seite nicht mehr repräsentieren und freue mich darauf, mal wieder was Anständiges zu arbeiten. Vielleicht erst mal halbtags, bis ich deinen Junggesellenhaushalt auf Vordermann gebracht habe.«
»Ja«, bestätigte er, »da liegt einiges im Argen, das auf deine kundige Hand wartet.«
Sie legte ihren Kopf nachdenklich auf seine Brust.
»Apropos im Argen liegen: Wie geht es der jungen Polizistin?«
»Ich habe sie heute Nachmittag gesehen. Ihr war etwas eingefallen, das für die Aufklärung des Mordes von Bedeutung sein könnte, deshalb haben mein Kollege und ich ihr einen Besuch abgestattet.«
Er gähnte herzhaft.
»Sie sah nicht gut aus, aber wer will ihr das verdenken. Ab morgen hat ihr Freund sich Urlaub genommen, dann werden die beiden eine Weile zu ihren Eltern fahren, was ich für eine richtig gute Idee halte.«
»Stimmt. Einfach raus und abschalten. Das könnte ich jetzt auch gebrauchen.«
»Ach, Maria, du könntest immer Urlaub gebrauchen.«
»Das ist jetzt nicht fair, Paul. Mein letzter richtiger Urlaub ist ganz schön lange her, und das weißt du auch, weil ich ihn mit dir verbracht habe. Und es war eine Woche in den Dolomiten, nicht die Karibik oder Südostasien.«
»Aber schön war es trotzdem.«
»Stimmt.«
Sie griff zum Fußende, zog eine Decke hoch, legte sie über sich und kringelte sich ein.
»Ist es O.K., wenn wir einfach ein bisschen schlafen? Ich bin zum Sterben müde.«
»Nichts lieber als das. Wir sollten aber besser einen Wecker stellen, sonst fragen sich morgen früh Christians Sprechstundenhilfen, was wir hier machen.«
»Wenn das keine Liebe ist, dann weiß ich es auch nicht«, murmelte Maria verschlafen, nachdem Lenz den Alarm seines Telefons beendet hatte.
»Was ist Liebe?«
»Wir zwei Irren sind Liebe. Wir fahren bei dieser Kälte jeder eine halbe Stunde, um uns zu sehen, dann schlafen wir vier Stunden, um wieder nach Hause zu fahren.«
»Es ist erst zwei Uhr. Ich könnte dir noch etwas anderes als Schlafen anbieten, wenn du Lust hättest«, ließ er sie wissen.
Sie verdrehte die Augen und winkte ab.
»Besser nicht. Der Geist könnte vielleicht noch einen Rest von Willen aufbringen, das Fleisch allerdings ist matt, ausgelaugt, schrumpelig und ganz und gar unwillig. Kurzum, du würdest versuchen, einen toten Gaul zu reiten. Aber wenn mich nicht alles täuscht, kommt dir das heute nicht ungelegen .«
»So ganz unrecht hast du nicht«, gestand er ein und küsste sie zärtlich auf den Mund. »Es war ein langer Tag.«
»Na bitte, sag ich doch.«
»Vielleicht kriege ich ja beim nächsten Mal eine neue Chance. Wie sieht deine Planung in den nächsten Tagen denn aus?«
Sie dachte einen Moment nach.
»Eigentlich gut für uns. Der einzige Termin, der uns im weiteren Verlauf der Woche im Weg steht, ist die Zirkuspremiere. Da muss ich mit Erich hin. Ansonsten bin ich frei.«
»Der große Zirkus auf dem Friedrichsplatz?«
»Ja. Die haben ein neues Programm, das sie in Kassel erstmals präsentieren. Übermorgen Abend ist die ›Weltpremiere‹ mit allerlei Prominenz aus Radio, Funk und Fernsehen. Der Ministerpräsident hat sich angekündigt, mit zwei Ministern im Schlepptau, ein paar Staatssekretäre gibt’s gratis dazu. Angeblich sind auch ein paar Parteibonzen aus Berlin im Anflug, aber daran glaube ich nicht so recht. Auf jeden Fall ist es eine reine Wahlkampfveranstaltung für unseren derzeitigen OB, so viel steht fest.«
»Kommen da auch Normalsterbliche rein?«
»Natürlich«, erwiderte sie mit hochgezogener Nase und viel Arroganz in der Stimme. »Auf den billigen Plätzen ist immer Platz für den Pöbel. Aber mach dir keine Hoffnungen, die Vorstellung ist seit Wochen ausverkauft.«
»Schade eigentlich.«
»Ach, du verpasst nichts. Außerdem freue ich mich drauf, mit dir dorthin zu gehen. Also hab noch ein bisschen Geduld, dann musst du auch nicht so ganz allein da rumsitzen .«
Auf der Fahrt nach Kassel hörte Lenz in den Nachrichten im Autoradio, dass am Nachmittag bei Göttingen ein ICE gebrannt und es eine Tote und etwa 15 Verletzte gegeben hatte.
30
Am nächsten Morgen fühlte Lenz sich trotz des völlig unzureichenden Schlafes in der Nacht frisch und ausgeschlafen. Um acht Uhr saß er vor einer Tasse Kaffee in Uwe Wagners Büro.
»Wenn es dir so geht, wie du aussiehst, geht’s dir ziemlich übel.«
»Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte eine schöne Nacht und habe gut ausgeschlafen meinen Dienst angetreten.«
»Dann muss es das Alter sein.«
»Wie
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