Zirkusluft
Sie hier essen können…«, meinte Hain kopfschüttelnd.
»Ich kann hier sogar Menschen aufschneiden. Und das habe ich den ganzen Morgen gemacht«, erklärte er ernst und stand auf.
»Kommen Sie mit.«
Die drei gingen über einen langen Flur, an dessen Ende zwei Türen lagen. Dr. Franz drückte auf den Öffner der linken und trat ein. In dem bis unter die Decke gefliesten Raum standen drei Edelstahltische. Auf dem mittleren lag ein abgedeckter Leichnam. Der Mediziner ging darauf zu, griff nach dem Stoff und gab den Blick auf den Kopf frei. Die beiden Polizisten sahen eine Frau von etwa 40 Jahren.
»Das ist die Tote aus dem ICE von gestern. Wir haben leider keinen Namen von ihr, weil sie keinerlei Papiere bei sich getragen hat. Eigentlich hat sie gar nichts bei sich gehabt.«
Lenz und Hain tauschten einen fragenden Blick.
»Was sie aber vor ihrem Tod erhalten hat, war eine Betäubung.«
Lenz war mit einem Satz neben Dr. Franz.
»Was für eine Betäubung?«
»Die gleiche, die Ihre beiden Mordopfer abbekommen haben, bevor man sie erschossen hat. CS-Gas, Xenongas und Äther. Und bevor Sie fragen, ja, es ist die absolut identische Mischung wie bei den anderen. Aber das ist leider noch nicht alles.«
Was könnte jetzt noch kommen, fragte Lenz sich.
»Die Frau ist radioaktiv verstrahlt.«
Wie auf Kommando traten die beiden Polizisten einen Schritt zurück.
»Nein, Sie müssen keine Angst haben. Wir haben nichts zu befürchten, wenn wir uns hier aufhalten.«
»Woher rührt die Verstrahlung?«
»Ich habe keine Ahnung. Das Ergebnis habe ich erst vor fünf Minuten bekommen, aber ich hatte es mir schon gedacht. Sie ist allerdings nicht an der Verstrahlung gestorben.«
»Aha«, machte Lenz.
»Das Isotop, das sie kontaminiert hat, ist Strontium 90. Ich glaube nicht, dass sie akut daran gestorben wäre, dazu reichte die Dosis nach meiner Meinung nicht aus. Vielleicht wäre sie in ein paar Jahren an Krebs erkrankt, vielleicht auch nicht. Und ich muss betonen, dass alles, was ich Ihnen jetzt sage, vorbehaltlich der Obduktion ist.«
»Ich fasse mal kurz zusammen«, formulierte der Hauptkommissar vorsichtig. »Die Frau ist mit der gleichen Mischung betäubt worden, die unser Mörder in Kassel verwendet hat?«
Der Mediziner nickte.
»Daran ist sie nicht gestorben.«
»Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht.«
»Sie war radioaktiv verstrahlt, woran sie jedoch auch nicht gestorben ist?«
Wieder ein Nicken.
»Sie saß ohne Papiere in dem brennenden ICE, über den ich gestern Abend im Radio was gehört habe?«
Nun schüttelte Franz den Kopf.
»Der Zug hat nicht gebrannt. Eine Rauchbombe, die in einer Reisetasche versteckt war, hat den Qualm ausgelöst. Nach Aussage von zwei älteren Damen gehörte die Tasche einem schwerhörigen, älteren Mann. Und sie…«, er deutete auf die tote Frau, »…sie saß drei Abteile daneben. Und war mausetot, als die Helfer kamen.«
»Und die Todesursache ist völlig unklar?«, wollte Hain wissen.
Franz funkelte ihn an.
»Wollen Sie mir bei der Obduktion assistieren? Je mehr Hände helfen, desto schneller haben wir ein Ergebnis.«
Der Oberkommissar hob abwehrend die Arme.
»Besser nicht…«
»Na, dann müssen Sie sich noch ein paar Stunden gedulden. Ich glaube nicht, dass sie an dem Qualm erstickt ist, danach sieht sie nicht aus. Aber ich habe, offen gestanden, noch keine Idee, was letztlich ihren Tod herbeigeführt haben könnte. Deshalb ist eine Fremdeinwirkung genauso möglich wie der plötzliche Herztod.«
Er schlug das Tuch ein weiteres Stück zurück. Die Beamten sahen die geschwollene, blutunterlaufene Hand der Frau.
»Was ist das?«, fragte Lenz.
Franz nahm den kleinen Finger und hob daran den Arm ein Stück nach oben.
»Eine komplett zertrümmerte Mittelhand. Die Verletzung ist ihr kurz vor ihrem Tod beigebracht worden, das kann ich Ihnen schon sagen. Alles Weitere muss ich erst näher untersuchen.«
»Gestorben kann sie auch daran nicht sein?«
Franz zuckte mit den Schultern.
»Eigentlich nicht. In der Medizin ist so ziemlich alles möglich, deshalb will ich es nicht komplett und kategorisch ausschließen, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war diese Verletzung nicht die Todesursache. Auch wenn ich sicher bin, dass sie mit dieser Hand nie mehr eine Zigarette gehalten hätte.«
»Sie war Raucherin?«
Der Mediziner nickte und deutete auf den Zeigefinger und den Mittelfinger der Frau.
»Und eine ziemlich starke dazu. Solche
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