Zirkusluft
mir hin und sagt: ›Das ist deiner, wenn du dir einen anderen Platz suchst.‹«
Er hob entschuldigend die Hände und sah von einem Polizisten zum anderen.
»Ich wäre doch blöd gewesen, wenn ich es nicht gemacht hätte, zumal der Typ aussah, als ob ein Nein in seinem Wortschatz nicht die erste Geige spielen würde. Also hab ich das Geld genommen und mir einen Platz möglichst weit weg gesucht, für den Fall, dass er es sich anders überlegt und die Kohle zurückgefordert hätte.«
»Hat er aber nicht?«
»Nein. Ich bin mitgefahren, bis der Zug wegen des Brandes auf freier Strecke angehalten hat, und hab mich dann von einem Taxi zum Bahnhof in Göttingen bringen lassen, weil ich nachmittags noch einen Termin hatte.«
»Und Sie sind sicher, dass die Frau und die beiden Männer zusammengehörten?«
Er nickte.
»Natürlich, deswegen bin ich ja hier. Der eine hat ihren schweren Koffer ins Abteil geschleppt, der andere hat dafür gesorgt, dass ich verschwinde.«
Er grinste verlegen.
»Ehrlich gesagt, hab ich gedacht, die würden nach meinem Abflug die Gardinen zuziehen und in dem Abteil einen Porno drehen. In dem Koffer hätte bestimmt alles Nötige dafür Platz gehabt.«
»Wie sah der Koffer denn aus?«, wollte Hain wissen.
»Groß war er, und aus Aluminium. Wissen Sie, es war so einer dieser teuren Rollkoffer.«
»Und er war schwer?«
»Na ja, ich hatte ihn ja nicht in der Hand, aber als der Typ, der ihn gezogen hat, den Koffer aufgestellt hat, musste er ganz schön asten. Also, sich anstrengen.«
»Können Sie aus Ihrer Erinnerung beschreiben, wie die beiden Männer ausgesehen haben?«
»Die beiden hätten Brüder sein können. Runde Gesichter, Stoppelfrisur, breite Nasen wie Boxer. Getragen haben sie Lederjacken und Jeans. Und sie haben untereinander und mit der Frau russisch gesprochen, als sie vor dem Abteil standen.«
»Da sind Sie sicher?«
»Ganz sicher.«
Lenz drehte sich zu seinem Kollegen.
»Kriegen wir jetzt noch ein Phantombild?«
Hain nickte.
»Ich hab schon Bescheid gesagt. In ein paar Minuten ist jemand drüben, der mit Herrn Gerhold zusammen die Bilder anfertigt.«
»Hätten Sie noch Zeit, mit einem Kollegen von uns die Phantombilder der beiden zu erstellen? Es kann aber zwei bis drei Stunden dauern.«
Gerhold sah auf die Uhr.
»Wenn ich um Mitternacht im Bett bin, reicht mir das. Aber später sollte es nicht werden.«
»Wir tun, was wir können«, versicherte Lenz ihm. »Und bis der Kollege kommt, können Sie mir noch erzählen, was Sie letztlich dazu veranlasst hat, zu uns zu kommen.«
»Na, der Bericht im Fernsehen«, erklärte Gerhold lakonisch. »Da war immer die Rede davon, dass eine allein reisende Frau ohne Gepäck bei oder während des Brandes im Zug ums Leben gekommen sei. Und das stimmt definitiv nicht, weder das eine noch das andere.«
Lenz sah ihn anerkennend an.
»Es wäre schön, wenn jeder Zeuge so denken würde wie Sie. Und ich glaube, dass Sie uns mit Ihrer Aussage einen großen Dienst erwiesen haben.«
»Und um das abzurunden, bringe ich den Herrn Gerhold jetzt rüber zu dem Kollegen, damit das mit den Bildern klappt«, meinte Hain und stand auf. Mit dem jungen Mann im Schlepptau verließ er das Büro, um fünf Minuten später zurückzukehren.
»Du solltest langsam mal duschen«, bemerkte Lenz süffisant.
»Später, noch kann ich mich selbst riechen.«
»Vorher erklärst du mir aber, wie du überhaupt an den Kerl gekommen bist.«
»Den hat uns Kommissar Zufall in die Hände gespielt. Als ich mein Trainingspensum für heute erledigt hatte, fiel mir auf, dass ich mein Mobiltelefon im Büro vergessen hatte, und wollte es kurz holen. Unten an der Pforte habe ich dann mitgekriegt, dass der alte Hiemer heute seinen letzten Nachtdienst schiebt, weil er ab nächste Woche in Pension ist, und mit den Kollegen noch ein Glas Sekt getrunken. Und während wir da so standen und uns über die alten Zeiten unterhalten haben, tauchte plötzlich dieser Gerhold auf und fragt, an wen er sich wenden muss, wenn er eine Aussage zu der Toten aus dem ICE machen will. Den Rest kennst du.«
»Gut gemacht, Thilo, auch wenn du gar nichts dafür kannst.«
Der junge Oberkommissar kniff die Augen zusammen.
»Danke. Und wie war dein konspiratives Treffen mit diesem Jelinski ?«
»Zunächst mal danke ich dir, dass du da unten ein bisschen gejoggt bist. Als ich dich erkannt hab, wollte ich zwar losschreien , aber das hat sich schnell gelegt, und die Freude darüber war viel größer
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