Zirkusluft
überlegt. Wir müssen davon ausgehen, dass er den Anschlag in einem Gebäude vornehmen will. Dafür kommt aber nur eine Halle oder ein anderes großes Gebäude in Betracht.«
»Wie würde er das dann machen? Reicht es, wenn er das Zeug von der Empore in den Saal wirft?«
»Ja und nein. Um einen möglichst großen Personenschaden anzurichten, würde ich an seiner Stelle dafür sorgen, dass ich es über die Lüftungsanlage im Raum verteile. Man sieht es nicht, man riecht es nicht, man schmeckt es nicht. Und wenn man merkt, dass etwas nicht stimmt, ist es schon viel zu spät, weil der Körper kontaminiert ist. Bei einer Schmutzigen Bombe mit einem Gammastrahler, etwa Cäsium 137 oder Cobalt 60, wäre das anders, da würde man eine Explosion herbeiführen und das Zeug möglichst weit streuen.«
Lenz dachte kurz nach.
»Sicher, es gibt, gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, viele Veranstaltungen in Gebäuden, aber ob einem potenziellen Attentäter mit einer Schmutzigen Bombe daran gelegen ist, den Altennachmittag im Kirchenzentrum aufzumischen, glaube ich dann doch nicht.«
»Nein, sicher nicht.«
»Außerdem«, gab Lenz zu bedenken, »wer sollte hinter solch einem Terroranschlag stehen? Er macht es nicht auf eigene Rechnung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, also stellt sich die Frage, für wen er arbeitet.«
»Auch darüber habe ich mir Gedanken gemacht, bin aber leider nicht weitergekommen.«
Hain passierte die beiden zum zweiten Mal. Wieder hörte der Kommissar seine Schritte ein paar Sekunden, bevor er ihn sah. Und wieder war er nach ein paar Augenblicken verschwunden.
»Das einzige Gebäude, das mir auf Anhieb einfällt, ist die Eissporthalle. Dort finden die Heimspiele der Kasseler Eishockeymannschaft statt. Ich glaube, da passen 6.000 Leute rein. Außerdem die Stadthalle, ich informiere mich gleich morgen, welche Veranstaltungen bis Weihnachten dort geplant sind.«
Dann fiel ihm etwas ein.
»Und im Moment gastiert ein Zirkus auf dem Friedrichsplatz. Käme der für einen Anschlag auch infrage?«
Jelinski zuckte mit den Schultern.
»Vermutlich nicht, weil das Zelt nicht dicht genug ist. Deshalb benötigen die bestimmt auch keine Lüftungsanlage, aber die bräuchte der Attentäter zur Verteilung des Strontiums. Aber ich möchte noch auf ein Detail eingehen, das wir bis jetzt außer Acht gelassen haben, nämlich den Tod der Frau. War ihre Anwesenheit in dem Zug schon der Termin der Übergabe oder ein Vortermin, vielleicht wegen einer Geldübergabe? Peter sagt, sie sei ohne Begleitung und ohne Gepäck unterwegs gewesen, was dafür spricht, dass das ›Chamäleon‹ sich die Ware geschnappt hat, nachdem er sie erledigt hatte. Allerdings halte ich es für ausgeschlossen, dass sie wirklich allein unterwegs gewesen ist.«
»Transportiert man dieses Zeug so einfach im Handgepäck?«, fragte Lenz verdutzt.
»Strontium 90 ist relativ leicht abzuschirmen, das heißt, dass man es durchaus im Auto oder eben auch in der Eisenbahn von A nach B transportieren könnte. Ein gut gebauter Koffer reicht definitiv.«
»Interessant. Aber wie wäre dieses ›Chamäleon‹ mit dem Strontium von dem auf freier Strecke stehenden Zug weggekommen?«
»Dieser Mann muss nicht wegkommen, Herr Lenz. Man sagt, er ist nicht mal für seine Mutter zu erkennen, wenn er es nicht will. Vielleicht hat er weiterhin in dem ICE gesessen und ist in aller Seelenruhe in den Ersatzzug umgestiegen, nur hat er dabei ganz anders ausgesehen.«
»Also gehen Sie davon aus, dass er das Material hat, das er für die Bombe benötigt?«
»Wir müssen es annehmen, ja.«
»Dann fasse ich zusammen, bevor mir die Füße komplett abgefroren sind, Herr Jelinski : Sie glauben, dass in der nahen Zukunft in Kassel ein Attentat mit einer Schmutzigen Bombe bevorsteht, haben aber keine Ahnung, wann und wo. Es gibt einen Mann, der nicht zu fassen ist, weil er ständig sein Äußeres ändert, und der seit ein paar Monaten verschwunden ist, jedoch als Attentäter infrage käme. Weiterhin haben wir eine tote Frau im ICE, die zwar mit Strontium 90 verstrahlt war und eine zertrümmerte Hand hatte, von der wir aber noch nicht einmal wissen, ob sie vielleicht an einem Herzkasper gestorben ist.«
Er seufzte.
»Irgendwie sitzen wir im gleichen Boot. Wenn ich das meinem Vorgesetzten erzähle, wird er genauso reagieren wie Ihrer: Er erklärt mich für verrückt. Und so ganz verdenken kann ich es ihm nicht.«
»Ich weiß, Herr Lenz. Nachdem ich heute mit Peter
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