Zirkusluft
telefoniert hatte, habe ich einen Moment darüber nachgedacht, wieder Alarm zu schlagen. Aber einen weiteren Fehler kann ich mir wirklich nicht leisten. Darüber bin ich mir im Klaren, und das hat mein Vorgesetzter mir auch unmissverständlich zu verstehen gegeben.«
»Und was schlagen Sie vor, sollten wir nun tun?«
»In Kontakt bleiben und die Augen offen halten. Mehr fällt mir dazu nicht ein.«
»Haben Sie vielleicht ein paar Daten zu diesem ›Chamäleon‹? Wie alt ist er, hat er irgendwelche Besonderheiten?«
»Er ist 46, hat eine Verbrennungsnarbe am linken Oberschenkel und spricht sechs Sprachen. Mehr weiß ich nicht.«
»Na, das sollte helfen«, frotzelte Lenz. »Kann ich Sie mobil erreichen, wenn ich eine Frage habe?«
Der Physiker gab ihm die Nummer.
»Und bitte versuchen Sie nicht, mich in Wiesbaden im Amt zu erreichen. Weiterhin unterlassen Sie bitte, irgendwelche Dinge wie Strontium, Mörder oder Bombe ins Telefon zu hauchen.«
»Das haben Sie vorhin schon erwähnt. Warum?«
»Sie halten mich jetzt sicher für den König der Verschwörungstheoretiker, Herr Lenz, aber ich weiß, wovon ich spreche, weil ich die Überwachungstechnik kenne. Sie sagen am Telefon Bombe, sofort beginnt die Aufzeichnung mit den Daten der Gesprächsteilnehmer. Das machen unsere Leute und der BND, und die Amerikaner, da bin ich sicher, hören auch mit.«
»Kaum zu glauben«, meinte Lenz, hatte allerdings schon von dieser Überwachung gehört. »Und jetzt kommen Sie, wir machen uns auf den Rückweg.«
Am Marmorbad trennten sie sich. Jelinski stieg in einen Wagen mit Mainzer Kennzeichen, Lenz nahm Kurs auf die Innenstadt. Ein paar Mal drehte er sich um, in der Hoffnung, Hain würde auftauchen, doch der Oberkommissar blieb verschwunden. An der Fußgängerampel am Staatstheater musste er warten, betrachtete dabei die imposante Zirkusbeleuchtung auf der anderen Straßenseite und dachte über das nach, was Jelinski ihm erzählt hatte.
Das Klingeln des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken.
»Ja bitte«, meldete er sich.
»Ich wollte dir nur sagen, dass ich den Abend richtig schön fand und mich auf den nächsten Sommer freue.«
»Hallo, Maria. Ich fand den Abend ebenso schön, auch wenn ich jetzt vor Müdigkeit sterben könnte.«
»Das könnte ich auch. Deshalb bin ich schon im Nachthemd und mit einem Buch auf dem Weg ins Bett.«
»Klasse. Hast du heute keine offiziellen Verpflichtungen?«
»Nein, heute gehöre ich mir selbst.«
In Lenz’ Telefon klopfte es an.
»Maria, ich muss Schluss machen. Schlaf gut.«
»Du auch.«
Er beendete das Gespräch und nahm das wartende an.
»Lenz.«
»Hallo, Paul, hier ist Thilo.«
»Hallo, Thilo. Schon ausgejoggt?«
»Ja, bisschen Sport am Abend schadet ja nicht. Aber ich habe keine Zeit für Geschwätz. Kannst du ins Präsidium kommen?«
»Warum?«
»Hier ist jemand, der will eine Aussage machen wegen der Frau aus dem ICE.«
»Bin gleich da.«
Der Hauptkommissar sprintete los und hatte kurze Zeit später den Taxihalteplatz am Friedrichsplatz erreicht. Keine fünf Minuten danach sprang er am Haupteingang des Präsidiums aus dem Wagen. Hain, der noch immer seine verschwitzten Laufklamotten trug, erwartete ihn dort. Neben ihm stand ein junger Mann.
»Das ist Herr Gerhold . Er ist in dem besagten ICE gestern von Berlin nach Kassel gefahren.«
Lenz streckte die rechte Hand nach vorne, stellte sich vor und begrüßte den Mann.
»Wollen wir in mein Büro gehen?«
»Ja, gerne.«
»Dann erzählen Sie mal, was Sie beobachtet haben, Herr Gerhold «, ermunterte Lenz den Besucher, nachdem die drei in seinem Büro angekommen waren.
»Also, ich bin vorgestern nach Berlin gefahren, weil ich einen Vorstellungstermin bei einem Unternehmensberater hatte. Der Termin ist gut gelaufen, und ich habe in Berlin übernachtet. Gestern Morgen bin ich dann zurückgefahren mit dem ICE um 10.22 Uhr ab Berlin Ostbahnhof. Die Firma in Berlin hatte mir für die Reise ein Erste-Klasse-Ticket spendiert, inklusive Reservierung, und das habe ich mir auch gegönnt. Ich sitze also auf meinem Platz, als die drei reinkommen.«
»Wie, die drei?«, fragte Lenz verdutzt.
»Ja, sie waren zu dritt. Die Frau, deren Bild ich eben in den Nachrichten gesehen habe, und die zwei Typen. Der eine hat mich gleich angemacht, ob ich nicht in ein anderes Abteil gehen wollte, aber ich hatte ja meine Platzreservierung. Das habe ich ihm gesagt. Da zieht der einen Fünfhunderteuroschein aus der Tasche, hält ihn
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