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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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brauche ja kein Geld mehr zum Leben. Nein , ich hoffe nicht nach Europa zurückkehren zu müssen, nachdem ich dieses Paradies gefunden habe.
    Ich hoffe nicht nach Europa zurückkehren zu müssen
, schrieb er. Recht hat er, dachte Ludwig, während er das Blatt zusammenfaltete und zurück in den Umschlag steckte. Und wennCharlotte von dem Krieg wüsste und von dem entsetzlichen Elend in ganz Europa, dann wäre sie sicherlich der gleichen Meinung. Besser, sie blieben beide dort, vielleicht konnten sie ihren Sohn irgendwann einmal nachholen, den sie bei Pechsteins Eltern in Zwickau zurückgelassen hatten. Besser noch, sie vergaßen ihn einfach, ihn, Berlin, Deutschland und Europa.
    Ludwig musste plötzlich an eine Unterhaltung denken, die sie kurz vor Pechsteins Abreise geführt hatten. »Vielleicht ist es gut, wenn es endlich losgeht mit dem Krieg«, hatte Pechstein damals gesagt. »Es wird ein kurzer, heftiger Ausbruch werden, wie die Krise eines Fieberkranken, aber dann ist es vorbei, und der Patient kann genesen.«
    Ludwig lachte, als er jetzt daran dachte. Das hatten sie wirklich geglaubt, dass es eine Frage von Wochen sei, bis der Krieg gewonnen war. Aber nun zog sich das Hauen und Stechen, das Schießen und Zerfleischen schon fast ein Jahr hin. Man lag in Stellung. Hier die Deutschen, dort die Franzosen, die Engländer, die Russen und Italiener. Sogar die Türken waren jetzt in den Krieg eingetreten. Man lag und lauerte, irgendwann ging man aufeinander los und brachte sich gegenseitig um. Der Schwächere zog sich zurück, aber nur ein Stück weit. Dann ging die Sache wieder von vorne los. Und es war kein Ende in Sicht.
    Er überlegte, ob er Pechstein antworten sollte, aber dann kam ihm der Gedanke, dass sein Brief genau so lange in die Südsee brauchen würde wie Pechsteins Brief hierher. Acht, neun Monate. Bis dahin wäre alles anders. Der Krieg wäre vorbei. Und er selbst wäre vielleicht tot oder verwundet oder in Gefangenschaft.
    Tief in seinem Inneren nagte jedoch ein anderer Gedanke, der viel schlimmer war, so furchtbar, dass er ihn mit aller Kraft zurück ins Dunkle drängte, aber es gelang ihm nicht.
    Und wenn in einem Jahr immer noch alles so wäre, wie es heute war? Wenn es von nun an immer so weitergehen würde, bis in alle Ewigkeit. Was dann?

II.
    Ludwig hatte seine Skizzenbücher mit an die Front gebracht, jetzt steckten sie unten in der Kiste mit seinen Wintersachen. Mit dem Ausbruch des Krieges hatte er aufgehört zu arbeiten. Er konnte die furchtbaren Bilder, die sich Tag für Tag vor seinen Augen abspielten, nicht auch noch zu Papier bringen. In den kurzen Gefechtspausen war er voll und ganz damit beschäftigt, das Gesehene wieder zu vergessen.
    Er zeichnete oft für die Kameraden. Für eine nackte Frau gab es drei Zigaretten. Frau und Mann zusammen machten fünf Zigaretten. Je eindeutiger die Posen, je detailgenauer die Zeichnung, desto höher die Bezahlung.
    Sommer bestellte ebenfalls eine Skizze, Ludwig zeichnete ihm eine Nackte auf einer Chaiselongue, die Beine leicht gespreizt. Die Zeichnung fiel weniger derb aus als die anderen Bilder, weil er sich plötzlich schämte. Sommer heftete das Blatt an die Wand des Unterstandes über sein Bett. Nach dem ersten Regen schlug die Feuchtigkeit des Holzes durch das Papier, der nasse Fleck breitete sich von der Scham der Frau über den ganzen Körper aus. Es sah aus, als ob die Nackte langsam verblutete. Sommer ließ das Blatt trotzdem hängen.
    Im Juli sollte Ludwig Urlaub bekommen, aber dann wurde er verschoben, wegen gewisser Engpässe, wie Rettel ihm mitteilte. Ludwig war selbst überrascht, wie gelassen er es hinnahm. Jeder andere brannte darauf, dieser Hölle zu entkommen, und sei es auch nur für ein paar Wochen. Ihm machte der Gedanke jedoch plötzlich Angst, dass er wieder nach Berlin kommen würde, in sein Zimmer am Nollendorfplatz, das ihm früher klein erschienen war, obwohl es riesig war im Vergleich zu dem Unterstand hier. Pechstein war in Palau; Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, all die anderen waren im Krieg. Das Romanische Café wäre verwaist, die Clubs geschlossen, dasFest war vorbei. Er hörte es aus den Briefen heraus, die die anderen von ihren Frauen, ihren Verlobten und Eltern bekamen. Die Menschen waren hungrig und elend und voller Angst.
    Er hatte niemanden dort, keine Freunde, keine Verwandten, keine Angehörigen. Wohin sollte er mit seinen Erinnerungen, mit den Bildern in seinem Kopf?
    Etwas anderes machte ihm noch mehr

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