Zitronen im Mondschein
sauer«, sagte sie zu dem befrackten Kellner, der daraufhin verächtlich das Gesicht verzog, denn saure Weine führte man im Apollo nicht, nur trockene.
»Wer ist er denn, der Kerl, mit dem sich Mirabella trifft?«, fragte Maria über die Musik hinweg.
»Er spielt Piano in ihrem Kino. So hat sie ihn kennengelernt.«
»Und? Wie gefällt er dir?«
Gudrun trank Champagner.
»Nun sag schon!«
»Nicht mein Geschmack, um ehrlich zu sein. Er ist so …«
»Wie?«, fragte Maria, als Gudrun nicht weiterredete. »Wie ist er?«
»So kommunistisch«, meinte sie achselzuckend.
Bevor Maria noch etwas fragen konnte, erhob sie sich halb von ihrem Stuhl und wedelte mit der Hand in der Luft herum. »Da ist Iris!«, rief sie. »Hallo, Iris! Was für ein Zufall!«
Iris Pressmann bahnte sich einen Weg durch die Stühle, während die Kapelle im Orchestergraben wieder einen Tusch spielte – er galt aber nicht ihr, sondern den Tiller-Girls, die nun alle im Spagat auf der Bühne lagen.
»Ma Cherie«, flötete sie und küsste Gudrun zuerst über die linke und dann über die rechte Schulter. Danach reichte sie Maria ihre behandschuhte Rechte. »Enchantée.«
»Ganz meinerseits«, sagte Maria und fühlte sich sofort unbehaglich. Die Pressmann trug ein weißes Bolero-Jäckchen mit Nerzkragen über einem lose geschnittenen Seidenkleid. Ein edelsteingeschmücktes Band im Haar. Eine lange Kette, Modeschmuck, aber dennoch teuer. Eins passte zum anderen, und alles wirkte vollkommen neu, als trüge die Pressmann die Sachen heute zum ersten Mal und danach nie wieder.
Maria kam sich plötzlich billig vor in dem violetten Satinkleid, das Gudrun ihr vor ein paar Monaten geschneidert hatte. Die Farbe ist eigentlich ein bisschen zu laut für dich, hatte Gudrun gesagt, als Maria mit dem Stoff angekommen war, aber Maria hatte das Kleid immer geliebt – bis jetzt.
»Was für eine charmante Überraschung«, säuselte die Pressmann.
War das wirklich ein Zufall, dass sie ausgerechnet an diesem Abend hier auftauchte? Aber vielleicht ging sie jeden zweiten Abend ins Varieté, genug Geld hatte sie bestimmt.
»Das ist Maria, von der ich dir erzählt habe«, stellte Gudrun Maria vor, so als wären sie sich noch nie zuvor begegnet. Vermutlich konnte sich Iris Pressmann ja auch wirklich nicht an sie erinnern, sie hatte sie jedenfalls nie eines Blickes gewürdigt. Heute jedoch sah sie Maria sehr aufmerksam an.
»Die Wahrsagerin«, sagte sie.
Klug eingefädelt, dachte Maria. Seit jenem Abend vor einem halben Jahr war Gudrun immer wieder darauf zurückgekommen, dass Maria Frau Pressmann die Zukunft voraussagen sollte, in Gudruns Sinne natürlich. Maria war ihr stets ausgewichen, aber sie hatte die Sache auch nie eindeutig zurückgewiesen.
»Sagen Sie«, fuhr die Pressmann fort, »Gudrun schwärmt ja so von Ihren übersinnlichen Fähigkeiten. Ich bin schon ganz neugierig. Sie meinte, Sie würden mir auch einmal mein Schicksal prophezeien, wenn ich Sie ganz lieb darum bitte.« Sie legte den Kopf schräg wie Rufus, der Scotch Terrier, wenn er bettelte, nur dass sie dabei nicht hechelte.
Maria sah Gudrun an, die ihr mit ihrem Champagnerglas zuprostete.
»Sie sollen es auch keineswegs umsonst tun«, flötete die Pressmann.
Maria seufzte.
Am nächsten Tag schickte ihr die Pressmann einen Wagen, und obwohl Maria so viel zu tun hatte, dass ihr der Kopf schwirrte, ließ sie Hilde und Elfie allein im Atelier zurück und fuhr nach Oberkassel, zum Wohnhaus der Pressmanns am Kaiser-Friedrich-Ring.
Der Fahrer hielt vor einem stolzen Neubau mit weißer Front, geschwungenem Giebel und Erkern mit hellgrauen Stuckverzierungen. In der Tür war ein rundes Fenster, das Maria anstarrte wie ein misstrauisches Auge.
Ein Dienstmädchen in einer weißen Rüschenschürze machte die Tür auf. »Ich bin mit Frau Pressmann verabredet«, sagte Maria. Als das Mädchen mit leiser, würdevoller Stimme antwortete, merkte sie, dass sie viel zu laut gesprochen hatte.
Durch das holzvertäfelte Entree ging es über eine Marmortreppe in die erste Etage. Ein samtiger Teppich schluckte das Geräusch ihrer Schritte. Grüngelbe Sonnenstrahlen fielen durch ein bleiglasverziertes Oberlicht viele Meter über ihnen.
Im Salon der Pressmann war es dagegen sehr hell. Durch das riesige halbrunde Fenster konnte man den Rhein sehen, dahinter die Häuser der Altstadt, das Planetarium und ganz links sogar ein Stück der Rheinterrasse. Die Aussicht hing im Raum wie ein großes Bild, das Gemälde
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