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Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
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keine Liebe.
    »Dann ist es ja gut«, seufzte die Pressmann. »Wissen Sie«, sagte sie hinterher, als sie beide schon aufgestanden waren und darauf warteten, dass das Dienstmädchen Marias Mantel brachte. »Ich hänge so sehr an ihr, an meiner kleinen Gudrun.« Maria nickte. Zu ihrer Überraschung spürte sie plötzlich einen Stich von Neid. Diese Liebe – wenn sie nur auch noch einmal eine solche Liebe empfinden könnte.
    Der Fahrer brachte sie wieder zurück in die Lorettostraße. Sie lehnte ihr Gesicht gegen die kühle, blank geputzte Fensterscheibe und spürte die Enttäuschung in sich wachsen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht nur Gudrun zuliebe zu Frau Pressmann gegangen war. Letztendlich hatte sie in die Sache eingewilligt, weil sie gehofft hatte, dass sie Madame Argent wieder sehen würde. Vielleicht sogar die Jungfrau.
    Aber nichts war geschehen. Niemand war ihr erschienen. Sie war allein. Sie blieb allein. Vielleicht war es immer so gewesen. Vielleicht hatte sie sich alles andere nur eingebildet.
     
    Am Nachmittag ging Maria zu Tietz, weil sie eine Unterredung mit dem Leiter der Schmuckabteilung hatte. Herr Goldmann, wiederholte sie den Namen in Gedanken, denn die Herren nahmen es einem immer furchtbar übel, wenn man ihren Namen nicht gleich parat hatte. Sie nahmen es einem auch furchtbar übel, wenn man zu spät kam, und heute würde sie zu spät kommen, das erkannte sie gleich, als sie vor dem Wilhelm-Marx-Haus aus der Straßenbahn stieg. Denn das Kaufhaus Tietz wurde belagert.
    Vor dem Haupteingang auf der Basarstraße stand eine Gruppe junger Männer in Uniform. Hellbraune Hemden, Pistolenkoppel, schwarze Stiefel. Sie trugen Banner, aber Maria konnte dieAufschriften darauf nicht lesen, weil sie sie in Richtung Hindenburgwall hielten, wo die meisten Leute standen. Sie musste sie auch nicht lesen, um zu wissen, wer die Männer waren.
    »SA«, sagte eine Frau neben ihr.
    »Schon wieder«, gab eine andere zurück. »Zum zweiten Mal in dieser Woche.«
    »Sie lassen einen nicht durch, das ist sinnlos«, meinte die erste. »Vergessen wir Tietz, gehen wir lieber gleich zum Wortner auf der Berger Straße.«
    Maria konnte aber nicht zu Wortner oder in irgendein anderes Geschäft. Maria musste zu Tietz. Der Termin mit Herrn Goldmann war um halb neun, jetzt war es zwanzig nach acht.
    Wenn der Haupteingang belagert war, dann waren auch die Nebeneingänge dicht. Da musste sie es gar nicht erst versuchen.
    Maria hielt den Koffer mit den Warenproben vor ihre Brust und bahnte sich damit einen Weg durch die Menschenmenge. Hinten warteten die Leute, die zum Einkaufen ins Kaufhaus wollten, in der Mitte drängelten sich die Neugierigen, und vorne standen die Sympathisanten und reckten die Fäuste. »Richtig so!«, rief ein älterer Mann mit freundlichen roten Apfelbacken. »Zeigt’s dem Dreckskerl. Macht uns unsere Geschäfte kaputt, der Tietz, die gottverdammte Judensau!«
    Als sich ihre Blicke begegneten, wurden seine Apfelbacken noch eine Spur röter. Dann wandte er hastig die Augen ab und schaute wieder nach vorn zu den Braunhemden. Vielleicht schämte er sich.
    »Deutschland erwache! Juda verrecke!«, begann einer der SA-Männer zu brüllen, die anderen stimmten ein. Raue Stimmen skandierten die vier Worte in hartem Stakkato, schneller und schneller. Dann rissen sie ihre Arme in die Höhe, die Fingerspitzen nach oben gestreckt. Auf den weißen Kampfbinden um ihre Oberarme prangte das Hakenkreuz, das Parteiabzeichen der NSDAP.
    »Faschistenschweine!« Der Ruf gellte über den ganzen Platz, genau im richtigen Moment, als alle auf die erhobenen Händeder Männer starrten und dabei den Atem anhielten, aus Bewunderung oder aus Abscheu oder einfach nur vor Angst. »Faschistenschweine!« Das Wort prallte gegen die aufgeblasenen Oberkörper der SA-Männer, die Arme fielen nach unten, die Köpfe schossen suchend herum.
    »Männer!«, brüllte der Kerl, der vorhin auch den Sprechgesang angestimmt hatte. »Wir werden angegriffen!«
    »Kommunistenpack!« – »Bolschewisten!« – »Schmeißfliegen!« Die Stimmen hallten durcheinander. Von hinten drängten jetzt die Angreifer heran, vorne hielten die Nazis dagegen, dazwischen duckten sich die Passanten weg, die Warenhauskunden, Zuschauer, Gaffer, die normalen Leute, die nichts mit der Sache zu tun haben wollten.
    Maria drängte sich mit dem Rücken an eine der Sandsteinsäulen am Eingang des Warenhauses. Der Platz vor dem Kaufhaus war ein Schlachtfeld. Ein SA-Mann

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