Zitronen im Mondschein
nämlich Anarchosyndikalisten. Weißt du was das ist? Ist ja auch vollkommen egal. Du musst gar nicht mitmachen. Du solltest nur wissen, dass das Land hier nicht gepachtet ist. Wir haben es besetzt. Also die anderen, ich bin erst seit ein paar Monaten dabei, seit ich Ottmar kenne. Aber Ottmar hat mitgemacht, damals. Die haben das Land besetzt, weil man Land nämlichnicht kaufen oder verkaufen kann. Es gehört allen, dir und mir und wer immer sich darauf niederlassen will.«
Ludwig nickte.
»Miete zahlen musst du natürlich trotzdem. Wir leben ja nicht von Luft und Liebe, Anarchie hin oder her. Ist aber nicht so teuer. Anton und Ernst zahlen nur ein paar Mark die Woche. Du hast doch Geld, oder?«
Ludwig nickte wieder. Er hatte Geld, nicht viel, aber ein bisschen. Wollheim hatte ihm von Berlin aus eine Stelle als Nachtportier in einem Hotel vermittelt. Es war kein besonders gutes Hotel, aber Ludwig war ja auch kein besonders guter Portier, so passte eines zum anderen. In jedem Fall reichte das Geld fürs Essen und für die Wohnung auch.
»Na dann ist es ja gut.« Greta lachte. So einfach waren die Dinge für sie.
Sie war recht groß, fast so groß wie Ludwig und hatte blonde Haar und rote Lippen, die immer geschminkt aussahen, dabei schminkte Greta sich niemals. Es kümmerte sie nicht, wie sie aussah. Das machte vermutlich ihren Reiz aus, dass ihr ihre Schönheit vollkommen egal war.
Dann war Greta wieder weg. Ludwig blieb allein stehen und beobachtete die anderen, die Siedler, die Maler und die Theaterleute, wie sie miteinander redeten und lachten, Bier und Wein tranken und immer betrunkener wurden. Je betrunkener sie wurden, desto weniger hörten sie einander zu, desto mehr redeten sie nur noch von sich selbst. Ich, ich, ich, schien die ganze Waldwiese bald zu schreien. Schaut mich an, schaut doch nur her.
Es war überall das Gleiche. Ob in Zürich oder in Berlin oder in Düsseldorf. Ich, ich, ich!
»Kikeriki«, sagte Ludwig. Dann erst wurde ihm bewusst, dass Greta wieder neben ihm stand. »Was?«, fragte sie irritiert, aber Ludwig antwortete nicht. »Soll ich dir die anderen einmal vorstellen?«
Ludwig winkte ab. »Ich werde sie früh genug kennenlernen.«
»Wie du meinst.« Greta zuckte mit den Schultern. »Ich kann dir ja von hier aus einen Überblick geben.« Sie redete weiter,obwohl er gar nicht reagierte. Vielleicht war sie betrunken. Vielleicht wollte sie ihn einfach nur aufheitern. Sie konnte ja nicht wissen, dass das zwecklos war. »Bei dir im gelben Haus wohnen Helma und ihr Mann, der Walter. Das heißt, eigentlich sind sie gar nicht verheiratet. Helma kriegt aber dennoch ein Kind von Walter, dafür braucht’s bekanntlich keinen Trauschein. Der neben dem Fass heißt Werner, der war von Anfang an dabei. Helma übrigens auch, aber Walter nicht, der ist höchstens ein Jahr hier. Und da drüben steht Konrad …« So ging es immer weiter, von einem Siedler zum nächsten, und nach den Siedlern waren die Künstler dran. Gretas Worte plätscherten an Ludwig vorbei wie der kleine Bach hinter den Häusern, er hörte nicht richtig hin und merkte sich gar nichts, keine Gesichter, keine Namen, keine Geschichten.
»Siehst du da hinten die fette Schachtel neben Walter?« Als Ludwig nicht reagierte, stieß ihn Greta mit dem Ellenbogen in die Seite. Dann zeigte sie mit dem Finger auf den rothaarigen Walter und die dicke Frau neben ihm. »Das ist die alte Ey, die die Künstler fördert. Schon mal was von ihr gehört?«
»Johanna Ey«, sagte Ludwig überrascht. Er kannte den Namen, auch wenn er sich nicht mehr für den Kunstbetrieb interessierte. Johanna Ey war eine der bedeutendsten Sammlerinnen für expressionistische Kunst, ihr Ruf als Galeristin ging weit über Düsseldorf hinaus. Ludwig hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Die Ey war plump und hässlich, sie sah aus wie eine Kneipenwirtin; und genau das war sie früher ja auch gewesen, erinnerte er sich. Johanna Ey hatte ein Café für die Studenten der Kunstakademie betrieben, und wer kein Geld für Kaffee und Butterkuchen hatte, der bezahlte in Bildern. Auf diese Weise war die Ey zu ihrer Kunstsammlung gekommen.
Greta winkte Walter zu. »Komm, ich stell dich vor. Du bist doch Maler, die Ey musst du einfach kennenlernen, eine solche Gelegenheit ergibt sich doch nie wieder.« Ehe er sie daran hindern konnte, zog sie ihn am Arm über die Wiese.
Sie schob ihn einfach zwischen die Ey und Walter. »Guten Abend, die Herrschaften. Ich wollte nur unseren neuen
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