Zitronen im Mondschein
letzte Stück war er zu Fuß gegangen, und nun war er hier.
Es war sehr still. Im Wald zwitscherte ein Vogel, im Gras zirpten Grillen. Sonst hörte man nichts. Es war auch keine Menschenseele zu sehen, aber in dem gelben Haus mit dem runden Giebelfenster stand die Tür auf. »Hallo«, rief Ludwig in den dunklen Hausflur hinein. Die Wände warfen seine Stimme zurück.
»Hallo?«
Ludwig fuhr herum, direkt hinter ihm stand eine junge Frau. Schmales Gesicht, glänzend schwarzes Haar, der Bauch so groß, dass er Ludwig fast berührte. Sie war schwanger.
»Ich komme … ich bin von …« Ludwig suchte nach Worten. Die Frau nickte. Dieser Bauch! Ein viel zu großer Bauch für die schmale Gestalt.
»Kommst du zum Fest?«, fragte sie. »Bist aber früh dran.«
»Zum Fest? Nein, Gert Wollheim aus Berlin hat mir Ihre Adresse gegeben. Ich bin neu in Düsseldorf und brauche eine Bleibe.«
»Den Wollheim kennst du? Ach, der steckt jetzt also in Berlin. Na, wenn du willst, kannst hier bei uns wohnen. Unter dem Dach ist noch Platz. Bring deine Sachen hoch, zwei Treppen und dann die erste Tür links. Danach kannst du mir helfen, wir haben noch einiges vorzubereiten für das Fest heute Abend.«
Als er seine beiden Koffer die Treppe hoch trug, fiel ihm auf, dass sie ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte.
Das Zimmer war klein, ein Bett, ein schmaler Schrank, ein Tisch. Ein Dachfenster zeigte ein blaues Rechteck Himmel. In den schrägen Sonnenstrahlen, die durch die schmutzige Scheibe fielen, tanzten Staubkörner.
»Du kannst Walter beim Aufbauen helfen«, sagte die Schwangere, als er wieder nach unten kam. Inzwischen waren noch zwei weitere Frauen und einige Männer aufgetaucht. Sie rollten Bierfässer über den Kiesweg vor den Häusern, eine Frau stand auf einer Leiter und nagelte eine Girlande aus grünen Blättern von einem Haus zum anderen.
»Gut«, sagte Ludwig, aber die Schwangere war schon weitergegangen und hörte ihn nicht mehr.
Er ging hinüber zu den Männern. Walter war ein großer Kerl mit zotteligem rotem Haar, einem roten Bart, auch aus seinem halb geöffneten Hemd wucherten rote Haare. Gemeinsam hämmerten sie eine Art Theke zusammen, auf die die Frauen Kuchen und dunkles Brot stellten, Töpfe mit Butter und Schmalz, Schüsseln mit Blutwurst. Niemand fragte Ludwig nach seinem Namen, keiner wollte wissen, was er hier wollte, woher er kam. Es schien normal zu sein, dass man hier einfach auftauchte, einzog und mitarbeitete, ohne sich vorzustellen.
Es ist der ideale Platz für mich, dachte Ludwig.
Die ersten Gäste trafen kurz vor acht in einem knatternden, rauchenden Wagen ein. Es waren Künstler, das erkannte Ludwig sofort, obwohl er selbst nicht wusste, woran. Vielleicht war es die Art, wie sie ihre Jacken hochschoben, um die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Vielleicht war es ihr ganzes Wesen, so laut und ungehemmt.
Neben der Theke packten Musiker ihre Instrumente aus. Ein Akkordeon, eine Geige, eine Gitarre. Als sie zu spielen begannen, war die Wiese plötzlich voller Menschen. Sie standen in Gruppen zusammen, Gläser in der Hand, redeten und lachten und kauten und tranken gleichzeitig. Ludwig fühlte sich auf einmal sehr alt.
»Helma sagt, dass du bei uns einziehen willst.« Neben ihm stand ein Mädchen und lachte ihn an. »Ich bin Greta Krull.« Sie streckte ihm die Hand hin.
Greta Krull war die Erste, die sich ihm vorstellte. »Nero«, sagte er. »Nero Battaglia.« Diesen Namen hatte er sich damals ausgesucht, nachdem er desertiert und in die Schweiz geflohen war. Nero hieß schwarz, und Battaglia war die Schlacht, der Krieg. Seinem neuen Namen nach lief er also vor sich selber weg, das gefiel ihm. In Zürich hatte er sich neue Papiere machen lassen. Nationalität: Schweiz. Geschlecht: männlich. Gestalt: mittel. Stirn: hoch. Augenfarbe: braun. Nase: normal. Das war Nero Battaglia.
»Nero«, wiederholte sie. »Bist du Italiener?«
»Schweizer«, sagte er.
»Ein Künstler.«
Er zuckte mit den Schultern. Er zeichnete und malte, aber er stellte nicht aus und verkaufte seine Arbeiten auch nicht. Er mochte auch nicht darüber sprechen.
»Ich wohne jedenfalls da drüben, im blauen Haus. Mit meinem Mann Ottmar, wir sind seit vier Wochen verheiratet. Anton und Ernst sind unsere Untermieter. Die wirst du ja noch kennenlernen. Wie lange willst du denn bleiben?«
»Hast du es dir auch gut überlegt?«, fragte sie dann weiter, bevor er Gelegenheit hatte, irgendetwas zu erwidern. »Wir sind
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