Zitronen im Mondschein
Mitbewohnervorstellen. Nero Battaglia aus Berlin.« Sie lächelte so stolz, als wäre Ludwig ihr Sohn. »Ein großes Kunsttalent übrigens, Frau Ey, auch wenn er es selbst nicht so sieht.«
Die Brille der Ey war rund und schwarz, dahinter lagen ihre kleinen Augen, mit denen sie Ludwig misstrauisch musterte. »Angenehm«, sagte er nur.
»Sie wollen also in der hiesigen Kunstszene Fuß fassen?«, fragte sie streng.
»Nein«, sagte Ludwig. »Ich möchte … ich werde erst einmal hier einziehen.«
»Wo?«, fragte Walter.
»Ins gelbe Haus.«
»Das ist mein Haus«, stellte Walter fest. Ludwig wartete darauf, dass er ihn fragte, wie er auf die Idee kam, dass er bei ihm wohnen wollte, aber Walter kaute auf einer roten Haarsträhne und schwieg.
»Ich bin mit Wollheim in Berlin bekannt«, sagte Ludwig, als ob das eine Erklärung wäre.
Walter nickte nur, aber die Augen der Ey wurden so rund wie ihre Brille bei dem Namen.
»Der gute Wollheim, wie geht es ihm? Ach, das Rheinland ist nicht mehr dasselbe, seit sie weg sind. Wollheim, Dix, Pankok. Sie fehlen, sie fehlen so sehr.«
Ludwig räusperte sich.
Kann nicht verstehen, wieso einer von Berlin nach Düsseldorf ziehen will
, hatte Wollheim gesagt, als Ludwig von seinen Umzugsplänen berichtet hatte.
In Düsseldorf liegt doch der Hund begraben.
Aber Ludwig hatte seine Gründe, über die er nicht sprach.
»Wussten Sie, dass er diese Siedlung mitgegründet hat? Vor fünf Jahren, da war er gerade frisch in Düsseldorf.«
»Wollheim ist Anarchist?« Das war Ludwig neu.
»Wollheim ist Künstler«, sagte die Ey. »Nach kurzer Zeit ist er ja dann auch hier weg.« Sie warf einen unsicheren Blick auf Walter, der weiterhin verdrossen auf seiner Haarsträhne kaute und schwieg. »Aber das ist lange her«, meinte Frau Ey versöhnlich.
Greta kicherte. Walter kaute. Ludwig starrte auf seine Hände, während ihn die Ey nachdenklich betrachtete. Als er den Blick hob, lächelte sie warm. »Herr Battaglia«, sagte sie. »Wenn Sie möchten, dann kommen Sie doch mal in meine Galerie und zeigen Sie mir Ihre Arbeiten.«
»Ja«, meinte er. »Warum eigentlich nicht?«
Sie gab ihm ihre Karte.
Neue Kunst Frau Ey
stand darauf.
Hindenburgwall 11
.
Greta stieß ihn triumphierend in die Rippen. Aber als Ludwig die Karte einsteckte, hatte er den Vorschlag bereits wieder vergessen.
Ludwig war nach Düsseldorf gekommen, um seine Tochter zu finden. Eine Tochter, von der er bis vor einigen Monaten nichts gewusst hatte. Und was wusste er jetzt? Ihren Namen –
Mirabella
. Dass sie als Servierfräulein in Düsseldorf arbeitete, in einem Lokal, das
Zum Goldenen Ochsen
hieß. Dass Maria ihre Mutter war. Mehr nicht.
Der Zwerg hatte es ihm gesagt. Dieser Zwerg, an dessen Namen er sich nicht mehr erinnern konnte, so sehr er sich auch den Kopf zerbrach. Miguel. Micha. Mingus. Es war zu lange her. Obwohl er sich an andere Dinge noch sehr gut erinnerte. An die Namen der drei dressierten Pudel zum Beispiel. Mick, Muck und Muzzi. Verrückt, dass er das nach so langer Zeit noch wusste. Er erinnerte sich an Marias Zelt, an den roten Überwurf auf ihrem Bett und daran, wie ihre Haare rochen. Er erinnerte sich an die alte Esmeralda und an Marthe mit dem Kropf. Aber den Namen des Zwergs hatte er vergessen.
Im Grunde hatte er auch vergessen, dass da überhaupt ein Zwerg gewesen war. Erst als der ihn vor dem Zirkuszelt angesprochen hatte, war es ihm wieder eingefallen.
Es waren die ersten warmen Tage im April 1926. Ludwig war mit Martin Wunderlich übers Wochenende nach Süddeutschland gefahren. »Ein bisschen raus aus der Großstadthektik, hinein ins Grüne«, hatte Martin gesagt, der in der gleichen Brauerei arbeitete wie Ludwig. Ludwig packte die Bierfässer vomLager auf den Lastwagen, und Martin fuhr sie dann zu den Wirtshäusern. In Wirklichkeit war Martin aber kein Bierkutscher, sondern Ausdruckstänzer und hatte bei Mary Wigman in Dresden studiert. Davon konnte man aber nicht leben.
Martin kannte eine kleine, billige Pension in Heilbronn, da fuhren sie hin. Warum Ludwig überhaupt mitfuhr, wusste er nicht. Stadt oder Land, das machte für ihn keinen Unterschied, er fühlte sich hier wie dort fehl am Platze, aber Martin redete so lange auf ihn ein, bis er mitkam.
Die Zugreise dauerte einen halben Tag. Sie fuhren Holzklasse, schon nach vier Kilometern tat Ludwig der Rücken weh, und sein Kopf dröhnte von dem Kindergeschrei und dem Zigarettenrauch im Waggon. Außerdem hörte Martin nicht auf zu
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