Zitronen im Mondschein
fünfundzwanzig.«Sie redeten und redeten, denn bei Tietz wurde man nach Erfolg bezahlt, das wusste Mira von Gudrun.
»Womit kann ich dienen?«, rief ein junger Verkäufer Mira zu, aber sie schüttelte den Kopf und beschleunigte ihre Schritte. Neben dem Lichthof war die Sammelkasse, hier reihte sich die Kundschaft auf, um die Ware zu bezahlen. Nacheinander trat man an die Theke, hinter der zwei Ladenmädchen standen. Eine von ihnen nahm den Kassenzettel und das Geld entgegen, flinke Finger tippten den Preis über die runden Metalltasten in die Registrierkasse. Dann drehte sie die Kurbel an der Seite der Kasse, klingelnd fuhr die Münzschublade aus, aus der das Mädchen das Wechselgeld entnahm.
Ein anderes Mädchen packte die Waren ein und überreichte sie den Kunden mit einem warmen, gleichzeitig leeren Lächeln. »Auf Wiedersehen und verbindlichsten Dank auch.« Der nächste Kunde trat nach vorn, reichte Kassenzettel und Geld. Das Mädchen tippte, die Kasse klingelte, und die Schublade ging auf. Der Mann vor der Theke öffnete den Mund. Mira wartete darauf, dass er etwas sagte, aber dann sah sie, wie das Ladenmädchen in die offene Schublade griff und etwas herausholte, das sie ihm auf die Zunge legte. Eine weiße Hostie. Eine Hostie? Im Kaufhaus? Der Mann schloss den Mund und senkte den Kopf.
Klingeling !
machte die Ladenkasse.
Mira fühlte sich plötzlich schwindlig, sie hätte sich gerne irgendwohin gesetzt, aber es gab nirgendwo einen Stuhl. Sie sah, wie der Mann sich zur Seite bewegte, ein anderer trat an seine Stelle, wieder griff das Ladenmädchen in die Kasse und holte eine Hostie für ihn heraus. So ging es immer weiter: Zettel, Geld, Klingel, Münzschublade, Hostie.
Mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis. Klingeling .
Miras Zunge fühlte sich sehr trocken an, als wäre sie mit einem pelzigen Stoff überzogen. Sie drehte ihre Augen weg von der seltsamen Kommunionsszene, hoch in die bleiglasverzierte Kuppel des Lichthofes, aber das machte den Schwindel nur noch schlimmer, und dann spürte sie Schwester Clementias Hände im Nacken, ihren harten, festen Griff.
»Ist Ihr nicht recht gut, dem gnädigen Fräulein?«, fragte sie mit tiefer Männerstimme, aber es war gar nicht Schwester Clementia, die das fragte. »Soll ich Ihr vielleicht ein Glas Wasser bringen?«
Sie atmete tief ein. Die Männer und Frauen vor der Sammelkasse wurden wieder zu gewöhnlichen Kunden, und auch die Hostien verschwanden. Neben ihr stand ein junger Mann im Anzug. Seine Mundwinkel zogen sich fast bis zu den Ohren, der Rest seines Gesichtes erschien dagegen seltsam starr und leblos.
»Es geht schon wieder«, sagte Mira ein wenig mühsam. »Nur ein leichtes Unwohlsein.«
»Kein Wasser?«, meinte der Bursche.
»Nein, vielen Dank.«
Sie spürte seinen misstrauischen Blick im Rücken, während sie durch den blumengeschmückten Lichthof weiterging, nach links in die Abteilung, in der Gudrun Stoffe zuschnitt. Die Schritte fühlten sich an, als watete sie durch Schlamm. Kommunion im Kaufhaus. Was für eine Vorstellung! Wenn sie so weitermachte, wurde sie bald so verrückt wie ihre Mutter.
Gudrun war ebenfalls schwarz-weiß gekleidet, sie legte gerade hellgelben Samt zusammen, Kante auf Kante, bis es ein perfektes weiches Quadrat war. Eine Schnur darum und ein Preiszettel für das Kassenfräulein. »Und beehren Sie uns recht bald wieder«, flötete Gudrun, obwohl ihr die Kundin bereits den Rücken zugekehrt hatte.
Mit demselben Lächeln wandte sie sich Mira zu. »Was kann ich für Sie … Mira!« Das Lächeln verschwand. »Was ist geschehen? Du bist ja so blass!«
»Ich … mir war nicht gut«, sagte Mira. »Aber jetzt geht es wieder. Diese Luft hier drinnen …«
»Zum Eingehen.« Gudrun nickte. »Und? Hast du ihn wiedergesehen?«
»Wen?«, fragte Mira, dabei wusste sie nur zu gut, von wem Gudrun sprach.
»Franz natürlich!«
»Er war vorhin in der Rheinterrasse. Er hat sich nach dir erkundigt. Ob er dich wiedersehen kann. Ich glaube, er ist in dich verliebt.«
»Ach, der dumme Junge!« Gudrun zwirbelte eine braunrote Haarsträhne zwischen ihren Fingern und steckte sie hinter eine Haarnadel. »Aber der Abend im Roten Kakadu war wirklich lustig.«
Lustig? Was meinte Gudrun damit? Was genau war denn so lustig an dem Abend gewesen? Franz mit seinen Scherzen? Mira in ihrer Betrunkenheit? Sie wollte es gar nicht wissen, beschloss Mira.
»Ich habe übrigens zwei Karten für die Oper«, wechselte
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