Zitronen im Mondschein
Hundert Gäste – war das ihr Ernst, oder machte sie sich über sie lustig? Der Modesalon, den Pressmann ihr in den letzten Wochen eingerichtet hatte und der am Abend eröffnet werden sollte, bestand im Grunde nur aus zwei Räumen, einem quadratischen Empfangszimmer, dessen hohe, große Fenster zur Hohen Straßehinausgingen, und einem länglichem Arbeits- und Anproberaum, in dem der Zuschneidetisch und die Nähmaschine standen. Hundert Leute würden hier schwerlich Platz finden, aber andererseits wirkte Gudrun nicht, als scherzte sie. Sie reckte den Hals und blickte über Miras Kopf zur Tür, als stünden da schon die ersten Gäste und warteten auf Einlass.
»Wirklich hundert?«, meinte Mira. »Aber was willst du denn anbieten?«
An drei Wänden des Salons standen lange schmale Tische, die mit Damasttischdecken bezogen waren. Im Schein des Kronleuchters an der Decke schimmerten die weißen Decken goldgelb. Die Tische waren leer. Vielleicht hatte Gudrun im Nebenzimmer Flaschen und Gläser und belegte Brote stehen.
»Soll ich dir bei den Vorbereitungen helfen?«, fragte Mira, während sie ihren Mantel auszog und an den Garderobenständer hängte.
»Nicht nötig«, meinte Gudrun. »Ich lasse alles kommen. Ich hoffe nur, dass Münstermann rechtzeitig liefert.« Wieder stellte sie sich auf die Zehenspitzen und blinzelte durch die Glastür, an die sich von draußen die Dämmerung lehnte. »Sie wollten um Viertel nach sieben hier sein.«
Münstermann, dachte Mira. Was das kostete! Früher hatten sie und Gudrun sich manchmal eine kleine Tüte Trüffel bei dem Feinkosthändler geholt, fünf Trüffel für vierzig Pfennige. Aber im Grunde waren sie gar nicht wegen der Trüffel in den Delikatessenladen gegangen, sondern um die geräucherten Schinken über der Theke zu riechen und die Hummer in den Glasbecken zu sehen, die die Besucher aus kleinen Augen verächtlich anstarrten. Und um die Preise auf den hellgelben Etiketten zu lesen, die einen ganz und gar schwindlig machten. Jetzt bestellte Gudrun ein ganzes Büffet bei Münstermann. Und Pressmann bezahlte.
Während sie noch darüber nachdachte, kamen die Kellner an. Sie trugen lange weiße Schürzen, Sektkübel, Cocktailshaker und Tabletts auf den Schultern. In wenigen Minuten ergriffen sie Besitz von den Räumen, sie stellten Teller mit Blutwurststückenund anderen Würsten auf den Tisch, daneben Töpfchen mit Senf, Platten mit belegten Broten und ganze Tabletts mit Pflaumen- und Apfelkuchen.
»Pressmann war für einfache Küche«, sagte Gudrun, während die Kellner an der anderen Wand die eisgefüllten Kübel mit dem Champagnerflaschen platzierten und daneben eine Pyramide aus Sektgläsern errichteten. »Er mag es gerne deftig.« Ihre Augen glitten ein wenig bedauernd über die Wurstteller, dann zuckte sie die Achseln. »Zumindest wird alles rechtzeitig fertig.«
»Wen hast du denn eingeladen?«, fragte Mira.
»O, ein paar Ladenmädchen von Tietz. Ansonsten hat sich Pressmann um die Gästeliste gekümmert. Was nützt es schließlich, wenn mir Leute die Türe einrennen, die sich hinterher meine Modelle gar nicht leisten können?«
Ab acht Uhr trafen die ersten Gäste ein, eine halbe Stunde später stand man in beiden Räumen Schulter an Schulter. Es waren keine hundert Besucher erschienen, vielleicht vierzig oder fünfzig, dennoch war der Salon zum Bersten voll. Unter der hohen Decke wälzte sich dicker Zigarettenrauch, um den Kronleuchter herum leuchteten die Rauchwolken golden. Die Damen trugen Federboas über ihren sackähnlichen Kleidern, hohe Schuhe und kleine Hüte. Nur Miras Mutter balancierte einen riesigen blumengeschmückten Hut auf dem Kopf. Dazu trug sie ein tiefrotes Samtkleid, dessen Ausschnitt viel mehr zeigte, als Mira sehen wollte, und hatte Hilde im Schlepptau, die schwitzende Hilde, die Mira fast nicht mehr wiedererkannt hätte.
Ihre Mutter winkte Mira nur kurz zu und bahnte sich dann einen Weg durch die Menge in Richtung Champagnerbar. Hilde dagegen steuerte direkt zu ihr herüber. »Wie geht es dir, Mira?«, fragte sie begeistert. Sie ergriff Miras Rechte mit beiden Hände, aber anstatt sie zu schütteln, hielt sie sie einfach nur fest. Sie wirkte so verändert in ihrem langen, schwingenden Kleid. Früher hatte sie ihren großen Körper immer in enge Kostüme gepresst, aus denen ihr Hals, die Unterarme undWaden förmlich hervorgequollen waren. Jetzt wirkte sie auf eine eigenartige Weise sinnlich, fast hübsch.
»Gut.« Mira zog ihre Hand
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