Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zitronen im Mondschein

Zitronen im Mondschein

Titel: Zitronen im Mondschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mayer Gina
Vom Netzwerk:
neben ihnen und stellte die Teller auf den Tisch, Kartoffeln und Braten für ihn, Fisch für sie. »Ich habe kein Geheimnis«, sagte Mira, nachdem sie die ersten Bissen gegessen hatte. Sie war sehr hungrig, stellte sie mit Erstaunen fest. Und der Fisch schmeckte tatsächlich gut, frisch und fest.
    Er lachte und schüttelte den Kopf. »Das können Sie einem anderen erzählen. Sie haben Angst, irgendetwas macht Ihnen Angst, ich weiß nur beim besten Willen nicht, was es ist.«
    »Ach, Unsinn! Was Sie sich da zusammenreimen!« Sie war froh, dass das Essen vor ihr stand, dadurch musste sie ihn nicht anschauen.
    Er legte sein Besteck zur Seite, verkreuzte die Arme im Nacken und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
    »Haben Sie schon einmal etwas von Sigmund Freud gehört?«, fragte er.
    »Dem Verrücktenarzt aus Wien?«
    »Wenn Sie ihn so bezeichnen wollen. Ich würde ihn einen Nervenarzt nennen.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Wissen Sie, wie er seine Patienten behandelt, wenn sie mit ihren seelischen Problemen zu ihm kommen?«
    »Er legt sie auf eine Couch und forscht in ihrer Vergangenheit und ihren Gefühlen herum, bis er auf irgendetwas stößt,das er für ihre Nöte verantwortlich machen kann.«
Genau wie meine Mutter, nur dass sie sich als Wahrsagerin bezeichnet
, wollte sie noch hinzufügen, aber dann sagte sie es doch nicht. »Aber was soll das jetzt in diesem Zusammenhang? Wollen Sie mein Seelenleben untersuchen? Sind Sie etwa Arzt?« Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass sie Otto nie nach seinem Beruf gefragt hatte. Dabei kannten sie sich nun schon so viele Wochen lang.
    Er nahm die Hände aus dem Nacken und legte sie auf den Tisch. »Ich bin Ingenieur. Ich habe die Gesolei mit aufgebaut, und jetzt reiße ich sie wieder ab. Aber ich interessiere mich stark für die Erkenntnisse der Psychoanalyse und halte im Gegensatz zu Ihnen sehr viel von Sigmund Freud und seinen Methoden.«
    »Otto«, sagte Mira und legte nun ebenfalls ihr Besteck zur Seite. »Was soll das? Mir geht es gut. Bei mir gibt es nichts zu heilen, und ich habe keine Geheimnisse.«
    »Drei Lügen«, sagte er und grinste.
    »Sie sind unverschämt.« Sie war kurz davor, einfach aufzustehen und wegzulaufen, aber damit hätte sie ihm ja nur recht gegeben. Getroffene Hunde bellen. Verwundete Seelen ergreifen die Flucht.
    »Dieser Vorfall letztens in der Rheinterrasse. Ihr Zusammenbruch. Das war klassisch. Sie haben etwas gesehen, das Ihnen so große Angst gemacht hat, dass es Sie förmlich lähmte.«
    Mira nahm ihr Besteck wieder auf und versuchte weiterzuessen, als ob nichts wäre. Aber jetzt schmeckte der Fisch auf einmal seltsam, ein bisschen säuerlich und zäh. Sie zwang sich dennoch zu kauen, zu schlucken, dann ein neuer Biss. Otto hatte recht, dachte sie, für ihre Ohnmacht damals gab es einen Grund, aber sie kannte den Grund ja und brauchte gewiss keinen Nervendoktor, um irgendetwas aufzudecken. Sie kaute auf dem Fisch herum und schaffte es nicht, ihn herunterzuschlucken, aber sie konnte ihn doch auch nicht ausspucken.
    »Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«, fragte sie mühsam, nachdem sie den Bissen endlich doch heruntergebracht hatte. Sie schob den Teller von sich. Genug.
    Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht. Er schob seinen Teller ebenfalls ein Stück zur Mitte, so dass er an ihren Teller mit dem zerwühlten Fisch anstieß. Sie sah, dass er seinen Braten kaum angerührt hatte.
    »Sie sind so traurig«, sagte er. »Und das ist wirklich schade.«
    Sie wollte etwas antworten, aber es ging nicht, sie brauchte ihre ganze Willenskraft, um den Fisch unten zu behalten. Ihr war schlecht, und gleichzeitig wurde sie immer wütender auf ihn, weil er sie so bedrängte, obwohl sie sich doch im Grunde gar nicht kannten. Was wollen Sie denn tun? hätte sie ihn gerne gefragt. Meinen Sie, dass alles gut wird, nur weil man über die Dinge redet? Im Gegenteil, es war viel besser, das Geschehene nicht immer wieder hervorzuholen und aufs Neue durchzukauen …
    Dieser Gedanke gab ihr den Rest. Der Fisch gewann sozusagen die Oberhand. Sie sprang auf und presste sich gleichzeitig eine Hand vor den Mund.
    Die dicke Wirtin hörte auf, über die Theke zu wischen, und zeigte mit einer erstaunlichen Geistesgegenwart auf eine schmale Tür neben der Küche. »Der Fisch war aber ganz frisch«, rief sie Mira anklagend zu, als diese an ihr vorbeirannte.
     
    Als sie Minuten später wiederkam, war der Tisch abgeräumt, und Otto hatte die Rechnung bezahlt. Die Wirtin

Weitere Kostenlose Bücher