ZITRONENLIMONADE (German Edition)
entschied, was als
Nächstes passieren würde. Leben oder Sterben, das lag jetzt in meiner Hand!
Kapitel Vierunddreißig
Paradoxerweise
hielt meine stabile Stimmungslage auch die kommenden Tage an. Ich konnte nachts
tatsächlich wieder ein paar Stunden am Stück schlafen - wahrscheinlich der
Placeboeffekt meiner unermüdlich gehorteten Tabletten, die ich jeden Abend
anguckte - und jetzt, wo mir alles egal war, fing ich an, zu laufen!
Mittels
eines Gehwagens, den mir Lisa besorgt hatte. Wir trafen uns montags auf dem
Gang vor meinem Zimmer. Passend zu meinem Rollstuhl ebenfalls mit metallicrotem
Gestell - Zufall, aber ich liebte
farblich harmonierende Dinge, wenn das auch früher Designerhandtaschen und passende
Schuhe anstatt orthopädischer Hilfsmittel gewesen waren - stellte sie das Wägelchen ab und forderte
mich auf, aufzustehen und daran Gehversuche zu machen.
Die
ersten Schritte waren klägliche Versuche. Ich zog mich am feststehenden
Wandgeländer aus meinem Rollstuhl alleine hoch und wackelte hin und her, bis
ich mein Gleichgewicht zumindest ansatzweise gefunden hatte. Stellen Sie sich
einen Alkoholiker vor, der volltrunken auf einem geraden Strich balancieren
soll und Sie können meinen Zustand nachvollziehen.
Lisa stellte den Rollator griffbereit vor mich
hin, brachte die Griffe in die für mich richtige Höhe und hielt ihn
sicherheitshalber fest, damit er nicht wegrollen konnte. Und dann lief ich! Ich
stützte mich krampfhaft auf das Wägelchen, machte mit dem gesunden Bein einen
Schritt nach vorne und ließ - wie tausendmal am Barren geübt - den rechten aus
dem Kniegelenk hinterher "fallen". Es folgte der noch
anspruchsvollere Teil: Das volle Körpergewicht auf die rechte Seite und das
Bein zu verlagern, damit der linke Fuß wieder einen Schritt machen konnte. Eine
Meisterleistung für mein instabiles Gleichgewicht. Nach etwa fünf solchen
"Schritten" waren die Beinmuskeln rechts überfordert und zitterten
derart, dass Lisa mir rasch wieder in den Rollstuhl half. Jeden Tag wurde ich etwas sicherer, und nach drei Tagen
erlaubte Lisa mir, den Gehwagen zusätzlich zum Rollstuhl zu behalten und damit
vorerst nur in meinem Zimmer auf und ab zu laufen.
Die
Grübeleien über meinen bedauernswerte Situation und den von mir gefundenen
"Ausweg" wurden zwangsweise weniger, da ich vollauf damit beschäftigt
war, wirklich jede Ecke meines Zimmers mit diesem Gehwagen und damit auf MEINEN
EIGENEN ZWEI BEINEN anzusteuern. Dazu brauchte ich aber volle Konzentration und
konnte mich deshalb nicht nebenbei im Selbstmitleid suhlen. Welches Hochgefühl,
vor meinem Schrank im Zimmer stehen und bis in das oberste Fach hinauf fassen
zu können! Den Rücken strecken zu dürfen! Irgendwo zu STEHEN, den Rollstuhl
zwar als augenblicklich noch unverzichtbares Hilfsmittel zu benötigen, aber zu
wissen, dass man sich zumindest schrittweise davon wegbewegen konnte! Und
sowohl Lisa als auch mein Ergotherapeut wiesen mich darauf hin, dass ich
mittlerweile deutlich schneller sprach und nur noch selten über ein Wort
stolperte.
Meine
Eltern, die die Sorge um ihr armes sitzengelassenes Töchterchen am Donnerstag
auf Besuch hergetrieben hatte, waren begeistert. Und ich musste meine Freude
(jawohl, ich sag´s ungern, aber obwohl ich dachte, diese Empfindung sei für
mich ein für alle Mal aus meinem Leben gestrichen, fühlte ich bei meinem
erfolgreichen Gehversuchen Stolz und ein warmes angenehmes Prickeln im Bauch)
über meine endlich sicht- und hörbaren
Fortschritte nicht einmal heucheln. Beim letzten Arztbesuch konnte ich mit der
großen Zehe am rechten Fuß wackeln! Wie
Mama mir verriet, hatte Sabine, die durch rege Mundpropaganda - da sieht man
mal wieder, was München für ein Dorf ist - von Bekannten erfuhr, dass Mark und
ich kein Paar mehr waren, voller Entsetzen meine Eltern angerufen, nachdem sie
mich telefonisch tagsüber nicht erreichen konnte. Außer sich vor Sorge wollte
sie von Mama wissen, wo und in welchem Stadium der Verzweiflung ich mich befände.
"Ruf´
sie an, Christina. Und - wenn du willst, werden sie und ich deine Sachen aus
Eurer Wohnung holen. Du kontrollierst dann, ob der Mistkerl alles rausgerückt
und zusammengepackt hat." Mistkerl,
was für eine treffende Beschreibung! Mir waren eine ganze Reihe von wenig
schmeichelhaften Bezeichnungen für meinen Ex eingefallen. Aus Gründen des
Jugendschutzes verzichte ich auf Einzelheiten. Aber schlicht und einfach Mistkerl,
das
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