ZITRONENLIMONADE (German Edition)
nicht so
viel, wie du jetzt schon besitzt.
Aber
ich hatte nicht den Nerv, positiv zu denken. Nein, ich wollte jetzt leiden und
mich selber bemitleiden, deswegen raunzte ich das zarte Pflänzchen Hoffnung in
mir derart an, dass es abrupt den Mund hielt:
Fortschritte??
Welche Fortschritte bitteschön? Nach fast zwei Monaten als Behinderte fünf
Treppenstufen mit Unterstützung oder
fünf Schritte auf einem ebenen Untergrund, bevor ich wieder in diesem
verhassten Stuhl zurück hocken muss! Verdammt, was nützen mir Familie und
Freunde? Die haben alle ihr eigenes Leben, kümmern sich halt notgedrungen um
mich, weil es nicht sozialverträglich ist, mich hängen lassen kann. Und das Geld? Naja, das
wird ganz schnell draufgehen, wenn ich erst mal hier aus der Reha draußen bin,
mir eine behindertengerechte Wohnung suchen, mein Auto für mich umbauen lassen
und Therapien machen muss! Und eine neue Einkommensquelle war weit und breit
nicht in Sicht!
Und
damit waren wir dann wieder am Ausgangspunkt angekommen: Mark hatte mich
verlassen! Amüsierte sich in München mit Marla und war vermutlich heilfroh,
dass die ständigen Besuche in Krankenhaus und Rehaklinik und die Konfrontation
mit seiner völlig lädierten Freundin endgültig Geschichte waren.
Ich
erspare Ihnen den Rest der Nacht; war sowieso eine Endlosschleife dessen, was
Sie mittlerweile erschöpfend mitbekommen haben.
Kapitel Dreiunddreißig
Sonntags
hatte ich überhaupt keine Lust, mein Zimmer zu verlassen. Aber ich musste zum
Frühstück erscheinen. Sonst fragten die im Speisesaal auf der Station nach und
schon hätte ich eine besorgte Schwester bei mir im Zimmer stehen gehabt! Die
hätte dann Meldung beim Stationsarzt gemacht und im schlimmsten Fall würden sie
mich mit Tranquilizern vollstopfen oder in die psychiatrische Abteilung sperren,
wo sich mein Verstand vollends verabschieden würde…
Nach
einer halben Honigsemmel und zwei Tassen Kaffee begab ich mich unschlüssig nach
draußen, um festzustellen, dass wenig passend zu meinem Gemütszustand die
Sonne von einem wolkenlosen Himmel strahlte. Die Zigarettenjunkies frönten
bereits wieder in Kleingruppen zusammen stehend ihrem Laster und sorgten dafür,
dass in ihre schwarzen Lungen ja kein Hauch ungetrübter frischer Morgenluft
gelangte. Nach einem kurzen Nicken in ihre Richtung entfernte ich mich von der
stinkenden blauen Dunstwolke und fuhr zu meinem Lieblingsplatz.
Diesmal
ließen mich das zarte Frühlingsgrün, der wolkenlos blaue Himmel und die
wunderbare Aussicht auf den Bodensee völlig kalt. Kahle Bäume und nebliges
graues Herbstwetter mit Dauerregen hätten mein Innerstes viel passender widergespiegelt.
Vielleicht hätte ich mir ebenfalls das
Rauchen angewöhnen sollen? Oder das Saufen? Beides führte - wenn man dem Bundesgesundheitsminister
und den netten Symbolen auf den Zigarettenpackungen glaubte - zu einem schnellen Tod. Und der wäre mir momentan gerade recht gekommen!
Mein bisheriges Leben war derart gut verlaufen, dass ich mich niemals mit
meinem vorzeitigen selbst herbei geführten Ableben beschäftigen musste. Ich hatte
nie nur das kleinste bisschen Verständnis für Selbstmörder gehabt. Nichts im
Leben konnte so schlimm sein, dass man freiwillig daraus schied, war immer mein
Credo gewesen. Bis jetzt. Mein Leben fühlte sich an, als ob es in den
Schnellschleudergang einer Waschmaschine geraten wäre. In meinem derzeitigen
desolaten Zustand kam mir der ewige Schlaf wie eine totale Erlösung vor.
Endlich keine Flugzeuge mehr im Bauch, endlich keinen Rollstuhl mehr, keine
mühsame Quälerei in den Therapiestunden, keine Zukunftsängste, ich würde die
Welt ganz einfach von mir und meinen Problemen befreien! Omas Stimme meldete sich mit unüberhörbar
mahnendem Unterton.
Ja,
ich weiß, Selbstmord ist eine Sünde, man wirft nicht einfach das Leben, welches
Gott einem geschenkt hat, weg!
Aber
selbst Mutter Teresa, die als Heilige verehrt wird, hatte in ihrem Leben
oftmals rabenschwarze Stunden, in denen sie an Gott zweifelte und mit ihm
haderte. Einmal soll sie sinngemäß gesagt haben: Gott, ich weiß, dass du mir
nie mehr auferlegst, als ich tragen kann. Aber warum gibst du mir dann nur so
schmale Schultern?
Mutter
Teresa und ich hatten in unseren Leben bestimmt nichts Gemeinsames, aber dieser
Ausspruch, der hätte von mir stammen
können! Ich fühlte mich todmüde, völlig
überfordert und am Ende. Und beschloss, Omas Mahnung zum Trotz
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