Zitronentagetes
saß sie trocken und warm in Noras Patchworkgeschäft beim monatlichen Treffen der Quiltgruppe. Was ihr wirklich zu schaffen machte, war, dass Irene Reinhold wieder nicht daran teilnahm. Alle in der Gruppe wussten, warum das so war, doch jede mied dieses Thema. Irene wollte nicht Charlotte Svenson über den Weg laufen. Ihr Bruder, Don Ingram, der frühere Sheriff von St. Elwine, war vor knapp einem Jahr bei einem Einsatz erschossen worden. Irene gab Charlotte die Schuld an seinem Tod.
Flo seufzte leise und schob die Stecknadeln punktgenau in die in entgegengesetzte Richtung weisenden Nahtzugaben. Die ganze Sache war ein tragischer Unglücksfall gewesen. Dennoch begriff sie, dass die Tatsache, irgendjemandem dafür die Schuld in die Schuhe schieben zu können, es für Irene irgendwie leichter machte. Es ließ sich nicht leugnen, die ausgewogene Harmonie, die bis zu jenem Ereignis in der Quiltgruppe vorgeherrscht hatte, war aus dem Gleichgewicht geraten. Die Frauen hatten sich insgeheim in zwei Lager geteilt. Eine Gruppe stand hinter Charlotte, die andere hielt zu Irene. Flo allerdings saß zwischen den Stühlen. Ein Zustand, den sie verabscheute und ihn daher gern aus der Welt schaffen würde. Wenn sie nur wüsste, wie sie das anstellte.
Am darauffolgenden Montag startete Flo einen Versuch. St. Elwine hatte noch immer keinen neuen festen Gesetzeshüter. Die Stelle war kommissarisch besetzt und die Beamten wechselten alle drei Monate. Don Ingram hatte im Haus seiner Schwester in einer Einliegerwohnung gelebt. Diese war, soweit Floriane wusste, noch nicht wieder vermietet. Als Flo frische Handtücher in den Wellnessbereich brachte, saß Irene über eine Kundin gebeugt und trug eine Gesichtsmaske auf.
»Hallo, wie geht’s?«, grüßte sie ihre Arbeitskollegin.
»Guten Morgen, Flo.« Irene sah kurz auf und arbeitete konzentriert weiter.
»Wir haben dich vermisst am Samstag.«
Irene murmelte etwas von Halsschmerzen und lieber nicht aus dem Haus gehen bei diesem scheußlichen Wetter.
»Ist es jetzt wieder besser?«
Irene blinzelte sie verwirrt an.
»Dein Hals.«
»Ja, ja. Mit viel Tee und Honig, du weißt schon.«
»Ja.« Flo räumte schweigend die Handtücher in die Fächer.
Irene stand auf und wusch sich die Hände. Sie ließ die Gesichtsmaske einwirken und die Kundin ein wenig ruhen.
»Eigentlich wollte ich dich noch etwas fragen«, begann Floriane von Neuem. »Die äh – Wohnung, bei euch im Haus. Ich meine …« Sie versuchte es lieber anders. »Ja, weißt du, ich habe die Kündigung meines Mietvertrages erhalten und nun muss ich, müssen wir … also Kevin und ich …« Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie noch mit niemandem darüber gesprochen hatte, dass sie ihre Bleibe bis zum Ende des Jahres räumen musste. Mist. Doch durch hartnäckiges Schweigen oder gar Ignorieren lösten sich wohl in den seltensten Fällen die Probleme.
»Willst du damit andeuten, ihr fliegt aus euren vier Wänden?« Mitleid huschte über Irenes Gesicht, als Flo nickte. »Und jetzt hast du überlegt, ob Dons Wohnung vielleicht …«
»Ich weiß natürlich nicht, ob ich mir die überhaupt leisten kann. Aber …«
»Darum geht es nicht«, flüsterte Irene so leise, dass Flo schon überlegte, ob sie sie richtig verstanden hatte. »Ich bin … Ich kann das nicht.«
»Verstehe.« Flo berührte mitfühlend den Arm ihrer Kollegin. »Entschuldige, ich wollte keineswegs …«
»Es geht nicht gegen dich, aber …«
»Das weiß ich doch, Irene. Es ist einfach noch nicht genug Zeit vergangen, nicht wahr?«
Als Irene nickte, zog Flo sie in die Arme und drückte sie fest an sich. Du musst ihn gehen lassen, dachte sie.
Abends saß Flo bei Elizabeth zu Hause und hoffte, dass sie sich alles genau einprägte, was Liz erklärte. »Hast du was zu schreiben? Ich mache mir lieber ein paar Notizen .« Rasch hielt sie die Stichpunkte fest: Streifen schneiden, im 45°-Winkel zusammennähen, Nahtzugaben bügeln.
»Jetzt setz dich an die Maschine und folge meinen Anweisungen«, forderte Liz sie auf.
»Ich soll nähen ?« Sofort begannen ihre Handflächen zu schwitzen.
»Natürlich. Learning by doing ist doch die beste Methode .«
»Na gut.« Floriane schob den Quilt zusammen mit dem Einfassungsstreifen unter den Nähfuß und begann zu nähen.
Liz erklärte ihr genau, wie sie an den Ecken vorgehen musste. Und siehe da: Es funktionierte. Begeistert klatschte sie in die Hände.
»Beim Schließen der Einfassung wird es etwas
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