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Zitronentagetes

Zitronentagetes

Titel: Zitronentagetes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Orlowski
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nicht besonders zügig. Ein Wagen näherte sich rasch, offenbar hatte der Fahrer nicht registriert, dass der Asphalt stellenweise überfroren war. Ehe sie es begriff, wurde sie Zeuge eines schrecklichen Unfalls. Die Frau schlug auf das Pflaster auf, noch bevor der Schrei den Weg aus Florianes Kehle fand. Einen endlosen Augenblick lang überlegte sie, was sie tun sollte. Schließlich beugte sie sich über den leblosen Körper der Frau und erkannte beinahe sofort, dass hier jede Hilfe zu spät kam. Das Gefühl, sich gleich erbrechen zu müssen, bemächtigte sich ihrer.
    Flo riss die Fahrertür auf. »Marc! Um Gottes willen.« Im ersten Augenblick dachte sie, er wäre ebenfalls tot. Dann jedoch vernahm sie sein keuchendes Flüstern. »O Mann«, ächzte er. »Ich kann nicht …«
    »Alles wird gut, ich rufe Hilfe.« Ihr Herz fühlte sich an wie ein riesiger, schmerzhafter Klumpen. Dort, wo sie Marcs Beine vermutete, befand sich der Motorblock. »Sie werden gleich hier sein – ganz bestimmt«, murmelte sie immer wieder, auch, um sich selbst zu beruhigen.
    Marc sah sie unverwandt an. Es gab unzählige Fragen, die sie ihm stellen wollte, doch keine fand den Weg von ihrem Verstand zu den Stimmbändern. Bäche von Schweiß liefen über sein Gesicht. Sie griff nach seiner Hand, doch ihre Finger flatterten so sehr, dass sie nicht in der Lage war, auf seinen Puls zu achten. Sie begann mit einem Kanon von Beruhigungsfloskeln.
    »Ich spüre meine Beine nicht.« Er hatte es so leise gesagt, dass sie überlegte, ob sie ihn richtig verstanden hatte. »Der Rettungswagen ist bestimmt gleich hier.« Dann jedoch rief sie sich zur Ordnung. Sie musste ihn wach halten. Wo hatte sie das schon mal gehört? Sie plapperte und plapperte und merkte, dass ihr Redeschwall ihn in der Wirklichkeit hielt.
    Flo war mehr als erleichtert, als das Sirenengeheul immer näher kam.
     
    *
     
    »Keine spontane Atmung, kein tastbarer Puls, keine auskultierbare Herzaktion. Pupillen weit und lichtstarr. Die Frau ist tot.« Die Rettungssanitäter forderten die Feuerwehr über Funk an.
    Durch Marcs Kopf zogen merkwürdig entrückte Gedanken. Seine gemarterten grauen Zellen befahlen: Steh auf. Diese Nacht ist zu kalt, um hier einzuschlafen.
    Warum war er noch immer bei Bewusstsein? Er war sogar hellwach und konnte alle Konturen scharf ausmachen – trotz der Dunkelheit. Seltsam.
    »Flo?«
    »Ich bin hier, Marc.«
    »Sie bekommen mich nicht raus.«
    »Die Feuerwehr wird gleich da sein. Die haben so ein Ding, weißt du …«
    Schneidbrenner? Nicht gut. Es dauerte so furchtbar lange.
    »Marc! O nein, bist du das?«
    Er war erleichtert, als er ihre Stimme erkannte. Sie war eine verdammt gute Ärztin. Elizabeth würde es hinbekommen – ganz sicher.
    Schon machte sie sich an die Arbeit. Während der Sanitäter berichtete, überprüfte sie seine Atmung und den Puls. »Ganz vorsichtig«, befahl sie dem Feuerwehrmann.
    Als die Autoteile wie eine Blechbüchse auseinandergeschält wurden und ihn freigaben, setzte augenblicklich ein Schmerz ein, der sich durch seinen ganzen Körper fraß. Sein Mund öffnete sich zu einem Schrei. Er hatte keinen Einfluss mehr auf seine Gedanken. Erinnerungen brachen ab und verschmolzen ineinander. Die Welt drehte sich. Doch erst als die Sanitäter ihn auf ein unbequemes Brett schnallten, schwappte der kreischende Schmerz durch seinen Schädel. Es kam kein Schrei mehr über seine Lippen. Die Welt kippte einfach um.
    »Er blutet, verdammt, er blutet«, brüllte Elizabeth.
    »Ich intubiere. Was ist mit MSI?«
    »Morphium ist drin.«
    »Dann ab mit ihm, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
    Er befand sich im Rettungswagen. Oder doch nicht? Licht blendete ihn.
    »Trümmerbruch des rechten Femur, ich lege einen ZVK – dreilumig. Rufen Sie Jefferson an. Wir haben es mit einer Gefäßverletzung zu tun. Alles vorbereiten für einen Bypass und verlängerte Knieprothese. Und los in den OP mit ihm!«
    »Halt! Kammerflimmern.«
    »Verdammt, Marc.«
    »Wir verlieren ihn.«
    »Nichts da – das werde ich nicht zulassen. Bleib hier – bleib hier!«

4. Kapitel
     
     
     
    V ictoria war seit dem 11. September nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie hoffte noch immer, dass ihr Mann am Leben war. Möglicherweise verletzt, wahrscheinlich litt er sogar an einem Verlust seines Gedächtnisses. Während ihrer Nachforschungen las sie von zahlreichen solcher Fälle. Sie war aufgewühlt und erschöpft zugleich. Ein Zustand, den sie mittlerweile nur

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