Zitronentagetes
Scott Peterson.«
Er war sehr jung, stellte Marc fest. Um einiges jünger als er. Dann muss die Frau auch … ein eisiger Schauder lief ihm über den Rücken. »Ich kann Ihnen nur nochmals versichern, wie leid mir alles tut«, sagte er leise.
»Danke, ich weiß das zu schätzen. Wirklich, Mr. Cumberland.«
Marc nickte und suchte hastig nach angebrachten Worten, aber sein Kopf war leer.
»Geht es Ihnen etwas besser?«, kam Peterson ihm zuvor.
»Ich werde bald entlassen und gehe in eine Reha-Klinik.« Nun, gehen war sicher nicht die richtige Umschreibung.
»Das ist gut. Oder?«
»Ich glaube ja. Und Sie – gehen Sie wieder arbeiten?«
Peterson hob ein wenig die Schultern. »Ich habe meinen Job verloren …«
»Was?« Marc war schockiert. »Wer macht denn so was?«
»Um die Wahrheit zu sagen: Tanner & Cumberland Construction.«
»Ich habe mich wohl verhört?«
»Leider nein, aber …«
»Wo waren Sie beschäftigt?«
»Nun, Sie können sicher nichts dafür. Der Personalleiter ist befugt …«
»Wo?«
»Im Fuhrpark. Ich habe die Baufahrzeuge gewartet und …«
»Das haben wir gleich, einen Moment.« Marc griff zum Telefon und bellte kurz darauf in den Hörer. Während man ihn weiterverband, entstanden kurze Pausen. Er sprach mit dem Personalchef und später hatte er noch mit Joshua geredet, der dafür sorgen sollte, dass auch alles in Ordnung ging.
»Das müssen Sie nicht tun.« Peterson wirkte verlegen.
»Ich weiß, es ist das Mindeste … Bitte lassen Sie mich Ihnen helfen. Die … äh … Beerdigung hat sicher einiges gekostet. Ich … verzeihen Sie, aber darf ich Ihnen einen Scheck ausstellen?«
Peterson hob den Kopf.
»Damit kann ich nichts ungeschehen machen, aber … Bitte, lassen Sie mich das tun«, hatte Marc wiederholt.
Seitdem hatte er das Gefühl des Wiedergutmachen-Wollens nicht mehr abschütteln können. Der Gedanke, mehr über Liza Peterson zu erfahren, setzte sich in seinem Kopf fest. Hieß es nicht, wenn man sich der Verstorbenen erinnerte, waren sie nicht wirklich tot? Doch um sich zu erinnern, musste er sie erst einmal besser kennenlernen. Er wollte nie so werden wie sein Vater. Mit Händen und Füßen hatte er sich stets dagegen gewehrt und jetzt hatten sie beide ein Menschenleben auf dem Gewissen. Die Umstände waren einerlei – Schuld war Schuld. Irgendwann würde er sich vor Gericht dafür verantworten müssen. Ob er wohl wie Dad ins Gefängnis musste? O Gott. Sein Magen begann erneut zu schlingern.
»Möchten Sie nichts trinken?«
Marc spürte, dass Myers ihn besorgt ansah. Er schüttelte nur den Kopf und musste sich kurz darauf wieder übergeben. Er fühlte sich hundeelend. Als sich auch noch ein bohrender Kopfschmerz hinter seiner Stirn manifestierte, war er nahe dran, in aller Öffentlichkeit zu flennen.
»Wie kann man nur so stur sein«, raunte Myers.
Während des mehrstündigen Fluges hatte sich Marc fünf Mal übergeben müssen. Den Transfer vom Flughafen realisierte er kaum noch. Erschöpft und niedergeschlagen kam er in der Klinik an. Das Prozedere in der Aufnahme verschwamm zur Undeutlichkeit. Er wollte lediglich zur Toilette und dann schlafen, schlafen, schlafen …
Die Nacht war so gut wie lange nicht mehr. Es war bereits heller Tag, als Marc erwachte. In dieser Jahreszeit bedeutete das, dass er ziemlich lange geschlafen haben musste.
Auf seinem Nachtschrank lag eine Mappe. Er schlug sie auf und überflog einige Informationen über die Klinik und ihr Leistungsspektrum. Man behandelte hier nicht nur Unfallpatienten, sondern auch diejenigen, die aufgrund von Diabetes, Durchblutungsstörungen oder Tumoren hatten amputiert werden müssen. Zum Leistungsangebot gehörten Schmerzmanagement, Physiotherapie, Auf- und Ausbau der Mobilität und Wiedereingliederung in Alltag und Berufsleben. Es gab Akutbetten sowie Betten für die stationäre Rehabilitation, ein videogestütztes Gehzentrum, ein Therapieschwimmbecken, ein medizinisches Trainingszentrum, einen großzügig angelegten, parkähnlichen Klinikgarten und ein angegliedertes Leistungszentrum Orthopädietechnik für eine frühzeitige Prothesen- und Schuhversorgung.
Eine Schwester begrüßte ihn und brachte ihm das Frühstück. Zum ersten Mal seit Tagen verspürte er so etwas wie Hunger. Im Anschluss entfernte sie den Verband vom Stumpf und teilte ihm mit, dass er duschen gehen dürfe. Sie wies auf den klappbaren Hocker in der Duschkabine und den Notknopf hin. Seiner skeptischen Miene entnahm sie, dass
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