Zitronentagetes
vernehmen.
»Ich komme.«
»Aber ich nicht«, schmollte er.
»Bis heute Abend. Nicht vergessen: Rock me, Darling.«
Am Abend jedoch war sie bereits eingeschlafen gewesen, noch bevor sie mit beiden Beinen im Bett gelegen hatte. Tyler wusste, wie viel sie in den letzten Wochen gearbeitet hatte, daher hatte er leise geseufzt, sich zu ihr gebeugt, sachte ihre Wange geküsst und sich dicht an sie geschmiegt.
Sie betraten das St. Elwine Hospital. Tyler hatte nicht vergessen, dass Marc zu seinen engsten Freunden zählte. Anders als Josh konnte er gut nachvollziehen, dass Marc sich in der schweren Zeit unmittelbar nach dem Unfall lieber von allen abschotten wollte. Manchmal brauchte man das, um seine Wunden zu lecken. Als Liz gestern Abend mit Charlotte telefoniert hatte, hatte sie nebenbei erwähnt, dass die eingeschränkte Besuchsregelung für Marc aufgehoben war. Ursprünglich hatte sich das Telefonat allerdings auf quilttechnische Fragen bezogen. Tyler hatte nur die Ausdrücke des Fachsimpelns aufgeschnappt und aufgegeben: Quilting in the ditch, quilt as you go, prairie points oder puff patchwork – Himmel, was hatten die Frauen nur vor?
Charlotte wollte einen Phobie-Patienten unter Vollnarkose behandeln, aber zunächst gingen sie gemeinsam zu Marc. Sein Freund und er hatten gelegentlich miteinander telefoniert, doch Tyler sah es als seine Pflicht an, Marc zu besuchen, jetzt, wo es ihm besser ging.
Es war klar, dass man Marc die Strapazen der letzten Wochen ansehen würde, dennoch erschrak Tyler über seinen Anblick. Er verstand sich allerdings gut darauf, dies zu verbergen. Charly blieb nicht lange und ließ sie allein.
»Dein Bruder ist eine ziemlich harte Nuss, was?«
Komisch, das Gleiche hatte Rodney von Marc behauptet. »Dann gehst du also nach Aspen?«
»Sieht wohl so aus.«
»Das ist gut.«
Marc kniff die Lippen aufeinander. »Dort ist niemand, mit dem man mal reden kann.« Sein Blick hing im Nirgendwo, es war mehr so, als hätte er lediglich laut gedacht.
»Das kannst du nicht wissen.« Tyler erinnerte sich plötzlich an Archie, der sein väterlicher Freund und Beschützer in ANGOLA gewesen war. Zehn lange Jahre hatte er in dem Hochsicherheitsgefängnis absitzen müssen für etwas, das er nicht getan hatte. Doch daran wollte er nicht mehr rütteln.
»Du hast tief in der Scheiße gesessen, Ty. Kannst du mir sagen, warum einen so viel Unglück trifft ?«
»Das Gegenteil von Glück ist nicht zwangsläufig Unglück«, sagte Tyler leise. »Sieh dich an: Du lebst, ist das etwa kein Glück? Wenn man dir alles genommen hat, musst du dir dein Innerstes bewusst machen. Du bist das Wichtigste, was du hast, Marc. Immer noch. Der Gradmesser für Glück ist … nun, wie sinnvoll wir unsere Zeit verbringen. Langeweile ist tödlich, glaub mir. Nur du kannst diesen Kreislauf unterbrechen.«
*
Tyler hörte sich fast an wie sein Bruder. Marc warf seinem Freund einen finsteren Blick zu. »Ich bin ein Krüppel, schon vergessen?«
»Unsinn, du hast ein Bein verloren, keineswegs dein Hirn. Du kannst arbeiten und Hobbys betreiben.«
»Mein Leben war der Sport.«
»Das kann er auch weiterhin sein. Stundenlanges Fernsehen bringt es jedenfalls nicht.« Tyler wies auf den im Hintergrund laufenden Apparat. »Die meisten Menschen denken bloß, dass man sich dabei entspannt, aber das stimmt nicht. Mach ihn aus.« Sie wussten beide, dass nicht der Fernseher gemeint war.
Heute war es so weit. Marc würde in Myers Begleitung nach Aspen in die Rehaklinik fliegen. Die Reise würde sehr anstrengend werden, darüber war er sich im Klaren. Von seiner Mutter und Flo hatte er sich bereits gestern verabschiedet. Megan hatte stumm in ihr Taschentuch geweint, dennoch vertraute sie darauf, dass alles gut werden würde. Was immer das auch heißen sollte. Die Vorstellung, wochenlang auf die muntere Plaudertasche Floriane verzichten zu müssen, bereitete ihm viel größeres Kopfzerbrechen. Woran lag das nur? Er hatte sich durch den täglichen Kontakt einfach zu sehr an sie gewöhnt, sinnierte er und ärgerte sich darüber, dass er die Melancholie nicht verscheuchen konnte.
»Mach das Beste draus, Großer«, hatte Flo ihn aufgefordert. »Ich darf dich doch noch mal drücken, oder?«
Seine Antwort schien ihr egal zu sein, denn sie wartete sie gar nicht erst ab. Stattdessen nahm sie ihn in die Arme und verteilte federleichte Küsse auf seinem Gesicht. Dabei hatte er kurz ihre Wange auf seiner gespürt – ihre Weichheit war
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