Zitronentagetes
eingestellt worden war. Vetternwirtschaft war nicht beliebt bei den Kollegen. Doch es gab auch Leute, die freundlich zu ihm waren und stets ein paar mitfühlende Worte übrig hatten.
»Eine Tragödie – das Ganze.« Ken Oldfield kratzte sich den Bart. »Auch für Cumberland.«
»Natürlich«, antwortete Scott stets zurückhaltend. Solange die Versicherung nicht zahlte, musste er bei diesem unseligen Spiel mitmachen. Er brauchte schließlich das Geld.
*
Flo verließ den Schönheitssalon und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Krankenhaus. Obwohl Marc entlassen war, besuchte sie weiterhin die Kinderstation. Sie spielte mit den Kleinen, hörte ihnen zu oder tröstete sie, wenn sie weinten oder von Angst sprachen.
Auf dem Flur traf sie Elizabeth. »Sehen wir uns am Samstag beim Patchworktreff?«, fragte Flo.
»Ja, ich sehe zu, dass ich meinen Dienstplan danach ausrichte. Schon was von Marc gehört?«
Flo schüttelte den Kopf.
»Ich will ja nicht neugierig sein, aber wie hat er das letztens gemeint, als er behauptete, ihr seid verlobt? Ist da etwas im Gange?«
»Quatsch – du kennst doch seine Art von Humor.«
»Äh.«
»Wenn du mich fragst, er gibt nicht gern zu, wenn er jemanden braucht, der ihm die Hand hält.«
»Männer!«
Sie verdrehten beide in stummem Einvernehmen die Augen.
»Würde mich interessieren, was Amy dazu sagt.«
»Nichts.«
»Wie meinst du das?«
»Sie haben sich getrennt.«
»Was?« Ungläubig sah Elizabeth sie an. »Das wusste ich ja noch gar nicht. Doch nicht etwa wegen … O Gott, das wäre ja furchtbar. Ich fühle mich so schon schuldig. Lächerlich, doch es ist so.«
»Er behauptet – nein.« Flo kamen auch leise Zweifel an seiner Aussage. »Weiß Josh denn nichts? Die beiden sind doch so dicke miteinander .«
»Das hätte er mir erzählt«, erwiderte Elizabeth. »Was machst du eigentlich hier?«
Gute Frage – keine Ahnung. Flo hob unschlüssig die Schultern. Sie wusste es selbst nicht genau. Fehlte ihr Marc? Quatsch. Sie waren Freunde – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes – weiter nichts. Es beunruhigte sie, dass er noch nicht bei ihr angerufen hatte. Sie kannte schließlich seine Nummer nicht. Es war vereinbart, dass er sich zuerst bei ihr melden würde, um ihr seine Nummer zu geben. Oder war es nur das, was sie erwartete? Wieder stellte sie sich sein Gesicht vor, wie es ausgesehen hatte, als sie sich voneinander verabschiedet hatten – so verloren. Sie hatte sich zwingen müssen, ihn nicht festzuhalten und nie wieder loszulassen. Plötzlich fiel ihr ein, warum sie in der Klinik war. Sie wusste, wie sich die Patienten mit ihren Ängsten fühlten. Insbesondere die Kinder, die ihre Eltern nur zu den Besuchszeiten bei sich haben konnten und sie ansonsten vermissten. Floriane hatte als Jugendliche nach einer großen Wirbelsäulenoperation viele Monate in der Uni-Klinik Magdeburg gelegen. Damals war die Besuchszeit noch auf Mittwoch und Sonntag beschränkt. Ihre Eltern hatten kein Auto besessen und mit dem Zug hatte man für die achtzig Kilometer von Rathenow nach Magdeburg fast drei Stunden gebraucht. Außerdem hatten ihre Eltern arbeiten gehen müssen und sie demnach nur am Sonntag besuchen können.
Floriane seufzte. Lange hatte sie diese schreckliche Zeit verdrängt. Marcs Unfall hatte alte Wunden aufgerissen. Sie fühlte sich in die Monate im Krankenhaus zurückversetzt. War es da ein Wunder, dass sie für jemanden sorgen wollte, der dies brauchte, sodass er mit seinem Kummer nicht allein sein musste? Wie sie es damals gewesen war. Reiner Zufall, dass dieser jemand ihr Freund Marc war. Sie blickte auf die Uhr und beschloss, sich auf den Heimweg zu machen. Immerhin wartete noch das Saubermachen der Zahnarztpraxis auf sie.
Gestern hatte sie ihre Kontoauszüge geprüft und die alarmierende Zahl am Ende betrachtet. Val überwies schon wieder keinen Unterhalt, verflixt. Außerdem schuldete er ihr auch noch die Restsumme vom Dezember. Aber sie wollte ihn nicht anrufen – noch nicht. Es wäre ja noch schöner, ihn anzubetteln.
Der Himmel war heute den ganzen Tag über bewölkt gewesen und um diese Uhrzeit war es bereits stockfinster. Flo bog in die Lincoln Street ein und bemerkte, dass ihr jemand in einigem Abstand folgte. Ansonsten war die Straße menschenleer, in den Häusern brannte Licht. Es fing an zu nieseln. Floriane beschleunigte ihre Schritte. Das tat auch derjenige hinter ihr. Rasch wandte sie sich um. Der Mann trug einen dunklen Anorak mit
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