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Zivilcourage - Keine Frage

Titel: Zivilcourage - Keine Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Wagner , Constanze Loeffler
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Delikten.
    Jede Großstadt hält ihre dunklen Ecken und sozialen Brennpunkte bereit. Doch nicht nur hier geraten Menschen aneinander. Die jüngsten Überfälle im öffentlichen Nahverkehr in München und Hamburg zeigen: Es gibt keine besonders sicheren oder unsicheren Orte. Abgesehen von der Familie – wo Kinder häufiger Gewalt ausgesetzt sind als dass sie selbst gewalttätig sind – ereignet sich Kriminalität überall dort, wo Menschen zusammenkommen. Im Bus, auf dem Marktplatz oder vor dem Fußballstadion. Häufigster Tatort sind öffentliche Räume wie Straßen, Wege oder Plätze. Danach folgen Wohnungen, Haltestellen, Clubs. Sowohl der Schulweg als auch die Schule spielen logischerweise nur im Zusammenhang mit Gewaltkriminalität von Kindern und Jugendlichen eine Rolle. Ebenso klar: Auf dem Land gibt es weit weniger gewalttätige Übergriffe als in der Stadt.
    2.3 | Jugend auf Abwegen
    Interview mit Prof. Dr. med. Gerd Lehmkuhl, Chefarzt der Klinik und Poliklinik für Kinder-Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät der Universität Köln.
    Herr Prof. Lehmkuhl, Sie haben als Kinder- und Jugendpsychiater seit Jahrzehnten mit gewalttätigen Jugendlichen zu tun. Anders als oft behauptet hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe durch Jugendliche über die Jahre nicht verändert. Offensichtlich werden die Überfälle aber immer brutaler. Woran liegt das?
    Das können wir nur vermuten. Fakt ist, Jugendliche kommen heutzutage vor allem durch die Medien mit Gewalt in Berührung: Fernsehen, Internet, brutale Rollenspiele am Computer. Auf Dauer verändert das ihre Wahrnehmung; Normen und innere Grenzen verschieben sich. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Medien sind nicht die Ursache der Gewalt, sie führen aber dazu, dass Jugendliche Gewalt irgendwann als normal empfinden. Auf Dauer stumpfen sie ab und in der konkreten Situation reagieren sie dann extrem aggressiv und sind oft nicht mehr zu bremsen.
    Warum wirken gewalttätige Computerspiele auf einige Jugendliche wie ein Sog, während andere schnell die Lust daran verlieren?
    Unglücklicherweise werden gerade die Kinder und Jugendlichen in ihren Bann gezogen, die häufig bereits Außenseiter der Gesellschaft sind. Also zum Beispiel Kinder aus zerbrochenen Familien, die zu Hause keinen Ansprechpartner haben. Oder es trifft Jugendliche aus Cliquen, die keine eigene Perspektive haben. Gewalt gilt hier als etwas Cooles, das schnell verherrlicht wird.
    Wie kommt es, dass vielen Jugendlichen eine Perspektive fehlt? Wieso haben so viele so wenig Bock?
    Viele Jugendliche fragen sich: Warum soll ich mich überhaupt anstrengen, wenn ich auch so klarkomme? Oft wohnen sie noch zu Hause, dort sind sie versorgt. Und sie sehen ihre Eltern: Die sitzen auch vor dem Fernseher statt im Büro und kommen trotzdem finanziell ganz gut über die Runden.
    Das erinnert an die Null-Bock-Generation der Neunzigerjahre.
    Vordergründig ja, die Hintergründe sind aber andere. Man fällt nicht durchs Netz, das merken die Jugendlichen von heute. Was sie auch machen, von irgendwoher gibt’s immer Geld. Wozu sich also die Hände schmutzig machen?
    Was hat diese Einstellung mit den brutalen Überfällen zu tun?
    Es ist fatal, dass viele Jugendliche derartig unmotiviert sind. Viel schlimmer ist aber, dass sie das Gefühl haben, nicht gebraucht zu werden. Der Staat, die Eltern, niemand hat Verwendung für sie. Das resigniert und frustriert sie. Nicht selten betäuben sie das Gefühl mit Alkohol und Drogen. Bis sie ihrem Frust dann in einer gewalttätigen Situation Luft verschaffen, ist es nur noch ein kleiner Schritt.
    Wenig Bildung, armes Elternhaus, Drogen, fehlende Zukunftsperspektiven – in welchem Alter beginnt dieser Teufelskreis?
    Häufig sehr früh, oft schon im Kindergarten. Die Kinder schlagen und treten, sind aggressiv gegen andere Kinder. Hier sollten die Erzieher und Lehrer schnell eingreifen und die Kinder beispielsweise zu einem Antigewaltprojekt schicken. Wir werden in diesen jungen Jahren maßgeblich geprägt. Wer also bereits im Kindergarten lernt mit Gewalt durchzukommen, wird das später beibehalten. Je eher das Gefühl von Macht einsetzt, desto schwerer ist es, das wieder rauszubekommen.
    Sind gewalttätige Jugendliche psychisch krank oder lediglich soziale Außenseiter?
    Das hängt davon ab, wie man Krankheit definiert. Die Jugendlichen zeigen auf jeden Fall krankhafte Züge: Sie zeigen Suchtverhalten bei Alkohol und Drogen, haben oft soziale

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