Zivilcourage - Keine Frage
er Bewährung – und dealte weiter. Mal wurde er verurteilt – und saß seine Strafe ab. Sechsmal war der junge Mann im Jugendarrest. Dann saß er wieder ein, doch der Türke aus München bekam eine letzte Chance: Nach einer Woche entließ man ihn mit der Auflage, ein Jahr an dem Projekt Work and Box teilzunehmen. In diesem Jahr holte Erftal seinen Hauptschulabschluss nach, begann eine Ausbildung zum Bodenleger – und nahm sein Leben in die Hand.
Erftal ist der Hauptprotagonist des Dokumentarfilms » Friedensschlag. Das Jahr der Entscheidung « . Der Regisseur Gerardo José Milsztein begleitete ihn und vier weitere Jugendliche der Work and Box Company bei ihrem Leben zwischen Herumhängen und Orientierungssuche. Eltern, Freunde und Betreuer kommen in dem Film ebenfalls zu Wort. Der Dokumentarfilm war auf der Berlinale zu sehen und kam im April 2009 in die Kinos.
» Wir trafen uns im Stadtpark. Mal zehn, mal zwanzig Jugendliche, wer gerade da war, wer Bock hatte auf rappen, trinken, kiffen, chillen. Oft gab es nachts Ärger; wir zogen rum, schlugen und prügelten uns. Meist gab es keinen Grund. Wir fühlten uns einfach nur provoziert oder es ging um ein Mädchen.
Als ich anfing, mit Gras zu dealen, habe ich viel Geld verdient und ausgegeben. Ich ging damals auf eine Hauptschule, aber ich war selten da. Das erste Mal im Knast war nicht weiter schlimm, es dauerte nur zwei Wochen. Außerdem traf ich Bekannte von draußen. Es war ein Heimspiel, ein bisschen wie in der Jugendherberge.
Wann ich das erste Mal nachgedacht habe, ob es schlimm ist, was ich mache? Als ich sah, wie meine Mutter geweint hat. Aber es ist schwer, aus diesem Leben rauszukommen. Es ist ein System, in dem du hängst, egal ob im Knast oder draußen. Alles, was du bist, hat mit diesem Leben zu tun. Anerkennung bekommst du nur von deinen Freunden. Du bist nicht stark genug, etwas zu ändern. Du kannst nicht einfach abhauen und ein anderes Leben beginnen.
Wenn ich an die Zeit denke, erinnere ich mich, dass ich eine riesige Wut in mir hatte. Ich war total aggressiv, bin manchmal fast ausgeflippt. Mehrmals hab ich mir die Hände gebrochen, weil ich gegen die Wände geschlagen habe. Bei Work and Box hab ich dann gecheckt, dass ich nur auf mich selbst wütend war.
In dem Jahr ist einiges bei mir passiert. Aber es hat gedauert, bis ich das annehmen konnte. Erst bin ich da gar nicht hingegangen, habe nicht verstanden, was das soll mit dem Boxen. Ich hasse Boxen, denn mein Vater war ein Boxer. Und wenn er mich geschlagen hat, dann war das mehr als eine Watschen. Aber die Leute von Work and Box kamen zu mir. Jeden Morgen sind sie mehr als 80 Kilometer gefahren, um mich von zu Hause abzuholen. Wenn ich sie am Fenster sah, habe ich meine Schuhe versteckt und meine Schwester vorgeschickt. Aber sie kamen immer wieder. Nach drei Monaten hab ich gemerkt: Die wollen wirklich was von mir, die lassen mich nicht einfach los. Irgendwann hab ich ihnen dann vertraut und gewusst, dass man mir helfen will.
Aber dann ging es ja erst los. Oft sind wir auch in Taufkirchen einfach abgehauen, wenn es uns zu stressig wurde mit Reden, Boxen und dem Scheiß. Sind einfach aus der Runde aufgestanden und kiffen gegangen. Nach zwei Stunden waren wir wieder da. Aber mein Betreuer hat mich unterstützt, egal, wie lang ich brauchte. Als ich zum Beispiel bei dem Betrieb anrufen wollte, um nach dem Ausbildungsplatz zu fragen. Das hat ewig gedauert. Ich konnte einfach nicht. Erst stand ich minutenlang an der Tür. Dann hab ich den Hörer aufgenommen. Wieder hingelegt. Wieder aufgenommen. Wieder hingelegt. Irgendwann hab ich die Nummer gewählt und gefragt, was mit der Lehrstelle ist. Ich bekam einen Termin, um mich vorzustellen. Geschafft.
Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, das ich danach hatte: Ich hab es geschafft. Ich bin nicht abgehauen, ich hab es durchgezogen. Das war ein neues Gefühl für mich.
Heute weiß ich: Sich ändern heißt, Hilfe anzunehmen, sich selber verzeihen. Erst wenn du das schaffst, kannst du loslegen.
Im Boxring war es ziemlich schnell klar, was du für einen Charakter hast, da kannst du dich nicht verstellen. Im Ring kannst du auch nicht abhauen, du musst zu dir stehen. Wenn du das kapiert hast, kannst du auch draußen bestehen.
Im Moment jobbe ich und bewerbe mich für eine neue Lehre bei der Deutschen Bahn in Berlin. Und will dann auf die Suche nach einem Stipendium für Schauspielerei gehen. Denn seit ich bei dem Film Friedensschlag
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