Zivilcourage - Keine Frage
Thilo schreitet ein – und wacht irgendwann auf dem Boden des Bahnsteigs auf. Er hat starke Schmerzen, Blutergüsse unter den Augen, aufgeplatzte Lippen, eine zertrümmerte Nase und eine Platzwunde am Kopf. Von den Tätern fehlt bis auf einen Fußabdruck auf Thilos Stirn jede Spur.
Fernsehen und Internet bringen die Kinder zudem mit fraglichen Vorbildern in Kontakt: Bushido, Hardcore-Rapper aus Berlin-Neukölln, hat eine riesige Fangemeinde – und steht mit vielen seiner Lieder auf dem Index. Knastgänger Menowin Fröhlich bekam im Frühjahr 2010 über Wochen im abendlichen Privatfernsehen eine Plattform – und zeigte, dass trotz massiver krimineller Energie bundesweite Anerkennung möglich ist. Im Jahr 2005 war er wegen Körperverletzung und Betrugs verurteilt worden. Im Superstar-Finale 2010 sei Menowin nicht mangels Talent gescheitert, sondern an seiner Vergangenheit mit Drogen, Lügen, Knast und Gewalt, urteilt eine große deutsche Tageszeitung. 6
Es ist nicht neu, dass sich dieses Dilemma vor allem in Familien mit niedrigem Bildungsniveau abspielt. Sie verfügen über weitaus mehr Bildschirmgeräte und Spielekonsolen als Mittelschichtfamilien. 7
Killerspiele – was bewirken sie wirklich?
Gesicherte Erkenntnisse darüber, ob virtuelle Gewalt auch mehr reale Gewalt erzeugt, fehlen bislang. Langzeitbeobachtungen und somit Erkenntnisse darüber, wie lange die Effekte anhalten, gibt es gar nicht. Vorhandene Studien zum Einfluss von Killerspielen widersprechen sich oder weisen methodische Mängel auf.
Eine umfangreiche Untersuchung des amerikanischen Psychologen Craig Anderson mit den Daten von mehr als 130 000 Kindern und Jugendlichen zeigt lediglich einen minimalen Zusammenhang. Gewaltspiele stellen zwar ein Risiko für aggressives Denken und Handeln dar und können dem Einfühlungsvermögen und positiven Sozialverhalten schaden. Die Auswirkungen seien Anderson zufolge aber nicht so groß, dass sie darüber bestimmten, ob man sich einer Gang anschließt oder nicht.
An einem regnerischen Freitagabend in Berlin sitzt Sven N. in der U-Bahn auf dem Weg zu seiner Freundin. Im Nachbarabteil beobachtet er eine Meute Jugendlicher, die rauchen, Wodka trinken und auf den Sitzen herumturnen. Kurze Zeit später wechseln die Jugendlichen das Abteil und kommen direkt auf ihn zu. Sekunden später hat Sven N. eine Faust in der Magengrube, ein Knie im Gesicht. Er geht blutend zu Boden, wird schwer verletzt. Der junge Mann zieht danach weg aus der Großstadt. Nur mit psychotherapeutischer Hilfe kommt er über den Vorfall weg.
Auch wenn der schädliche Einfluss von Medien bisher wissenschaftlich nicht gesichert werden konnte, ist die Existenz von Gewalt an sich unstrittig und es muss an der Alltagsfront etwas dagegen getan werden. Millionen Jugendliche brauchen täglich ernst gemeinte, anpackende Hilfe. Projekte wie Work and Box in München machen es vor: Am Herzen berühren, authentisch handeln, die Gesellschaft verändern. Seit 2002 kämpfen die Macher um und mit jedem einzelnen ihrer hundert Jungs, bei rund 80 Prozent erfolgreich. Bundesweit hat das Projekt viel Zustimmung geerntet, denn es zeigt: Gewalttätige Jugendliche brauchen keine härteren Strafen, sondern Hilfe, Zuwendung und Bejahung. Nur so werden sie einen Platz in unserer Gesellschaft finden.
2.2 | Soziale Brennpunkte –
hier sollten Sie vorsichtig sein
Deutschland gehört laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) 2009 zu den sichersten Ländern der Welt. Die Zahl der registrierten Straftaten ist gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent auf 6 054 330 zurückgegangen – und folgt damit einem Trend, der sich auch schon in den letzten Jahren angedeutet hat. Die Polizei klärte rund die Hälfte aller Delikte auf. Das waren so viele wie noch nie seit Einführung der gesamtdeutschen Kriminalstatistik im Jahr 1993 .
Die Gefahr, ein Opfer von Kriminalität zu werden, ist im Norden größer als im Süden. So wurden 2009 die meisten Straftaten in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen sowie in Berlin, Hamburg und Bremen begangen. Bezogen auf die Einwohner der Stadt, bleibt Frankfurt am Main wie schon im Jahr 2008 das heißeste Pflaster. Danach folgen Hannover, Berlin und Bremen. Absolut gesehen die meisten Fälle hatte im Jahr 2009 die Berliner Polizei mit rund 500 000 Straftaten zu lösen. Doch auch in Hamburg war mit rund 240 000 Fällen ordentlich was los, gefolgt von Köln mit 136 000 registrierten
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