Zivilcourage - Keine Frage
Bindungsprobleme, sind depressiv oder entwickeln Ängste. Jeder zweite unserer Patienten hat als Kind traumatische Erfahrungen gemacht, durch Gewalt oder Missbrauch.
Bedingt das eine das andere?
Wir wissen tatsächlich, dass bei einigen Krankheiten gewalttätiges Verhalten wahrscheinlicher ist als bei anderen. Beispiel ADS bei Kindern: Betroffene mit dem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom sind oft schlecht integriert, depressiv und sozial auffällig. Hier verwischen die Grenzen zwischen Übersprunghandlung und aggressivem Verhalten, nicht selten mündet das in Gewalt.
Wie kann man den Jugendlichen helfen, wie muss man ihnen begegnen?
Brutale Gewalt darf nicht ohne Folgen bleiben, das ist klar. Doch Strafen allein helfen nicht. Wir brauchen therapeutische Angebote – je nachdem was die Ursache für die Gewaltausbrüche ist.
Was heißt das konkret?
Neurowissenschaftler unterscheiden heute zwischen der heißen und kalten Aggression. Das Verhalten von Tätern mit einer heißen Aggression ist immer reaktiv, impulsiv und mit Frust, Ärger oder Furcht verbunden. Sie handeln eher im Affekt. Täter mit kalter Aggression schlagen hingegen kaltblütig zu, planen ihr Vorgehen bis ins Detail und empfinden dabei Freude, Ekel oder Verachtung. Moralische Werte sind ihnen völlig abhandengekommen. Tätern mit einer heißen Aggression können wir besser helfen. Denn sie haben einen Leidensdruck, ein Schuldgefühl, sind emotional also noch erreichbar.
Wie muss ein Urteil ausfallen, damit es Jugendliche zum Umdenken anregt?
Ein Urteil muss abschrecken; nur eine massive Strafe setzt auch ein Signal. Dennoch erreichen wir damit nicht die Täter von morgen. Heiße Aggressionen entstehen aus der Situation heraus, getriggert durch eine Menge frustrierender Kindheitserfahrungen. Wenn die betroffenen Täter dann erst einmal angestachelt sind, wird ein noch so hartes Urteil sie nicht davon abhalten zuzuschlagen.
Was ist also zu tun?
Wir brauchen Eltern, die ihren Kindern Grenzen setzen. Wir brauchen Lehrer und Erzieher, die von Anfang an aufmerksam sind und früh mit auffälligen Kindern nach neuen Wegen suchen. Wir brauchen ein funktionierendes Frühwarnsystem, das dafür sorgt, dass es gar nicht erst zu solchen Ausbrüchen kommt. Und wenn doch, müssen wir genug Kapazitäten haben, die Jugendlichen früh und mit den richtigen Methoden zu behandeln.
Was ist »happy slapping«?
Inszeniertes Draufschlagen
Angefangen hat alles 2004 in Großbritannien – mit ein paar harmlosen Ohrfeigen, die jemand aus Jux ablichtete. Schnell wurden aus peinlichen Handybildern Filmchen, die von roher Gewalt zeugen. Erschreckender Höhepunkt: Ein Jugendlicher soll gefilmt haben, wie sein Freund einen schlafenden Obdachlosen angezündet und dabei fast umgebracht hat. 8
Fast alle Jugendlichen nennen heutzutage ein Handy ihr Eigen. 9 Längst haben sich die kleinen Lieblinge zum Multifunktionsgerät mit MP- 3 -Player, GPS-Navigation, Kamera und Handy-TV entwickelt. Beliebt ist vor allem die Kamerafunktion. Der Jugendstudie JIM 2009 zufolge filmt jedes zweite Mädchen und jeder dritte Junge regelmäßig mit seinem Handy.
Diese Entwicklung hat auch ihre Kehrseite. Ergebnis: das sogenannte » happy slapping « . Kinder filmen via Handy Gewalttaten, Abziehe und Mobbing und schicken die Filme an ihre Freunde. Jeder dritte Jugendliche hat schon einmal mitbekommen, dass Mitschüler eine Prügelei per Handykamera aufgezeichnet haben. Verbreitet ist das Problem vor allem unter Hauptschülern.
Oft ist das » fröhliche Draufschlagen « einziger Grund für einen Überfall. Über die Clique erreichen die bloßstellenden Videos später im Internet ein weltweites Publikum. Die jugendlichen Filmemacher erhoffen sich von den Minivideos Anerkennung von Gleichgesinnten. Wer dabei allerdings erwischt wird, hat mit einer Strafanzeige wegen Körperverletzung zu rechnen. Was viele nicht wissen: Nutzer der Videos können wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden. Dass sie ihren Opfern durch die öffentliche Demütigung lebenslange psychische Probleme bereiten können, ist den Beteiligten meist völlig egal.
2.4 | Auch das ist Deutschland
Sich ändern heißt Hilfe zu akzeptieren
Der 22-jährige junge Mann mit der schwarzen Kappe, dem scheuen Blick und dem Dreitagebart galt früher als hoffnungsloser Fall. Seit er zwölf ist, treibt sich Erftal auf der Straße rum; mit 14 Jahren saß er zum ersten Mal im Knast. Schlägereien und Dealen, das war sein Geschäft. Mal bekam
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