Zivilcourage - Keine Frage
Täter noch da oder ist er schon weggelaufen? Ist es ein einzelner Angreifer oder eine Gang? Angreifer wissen übrigens um diese Gedankengänge. Sie planen mitunter sogar ein, dass bei einer (brutalen) Tat niemand dazwischengehen wird. Ein Phänomen, das schon länger bekannt ist. Auch der Mörder von Kitty Genovese rechnete damit, dass er sich seinem Opfer ungestört widmen konnte. Bei seiner Vernehmung gab er an, dass er von Beginn an davon ausgegangen sei, dass sich mögliche Beobachter nicht weiter um den Vorfall kümmern würden.
Modell der Hilfeleistung nach Latané & Darle y (1976) 14
Zur Beruhigung aller kann gesagt werden, dass Fälle wie die von Dominik Brunner, Emeka Okoronkwo oder Fabian Salar, die ihre Hilfsbereitschaft mit dem Leben bezahlt haben, selten sind. Weitaus häufiger wirken Helfer in einer Situation deeskalierend und können Schlimmeres verhindern. So sind bisher 33 Personen in den letzten sieben Jahren mit dem » XY-Preis – Gemeinsam gegen das Verbrechen « des ZDF ausgezeichnet worden. Die guten Taten vieler anderer blieben von den Medien und der Öffentlichkeit unbeachtet.
3.2 | Tatort Unfallstelle
Nicht nur bei Straftaten auch bei Unfällen helfen Menschen zu selten. Der Autoclub ADAC und der SWR zeigten das vor einigen Jahren in einem Versuch: Sie fingierten einen Unfall mit zwei Schwerverletzten und beobachteten das Verhalten von Autofahrern, Radlern und Fußgängern. Vier von fünf Personen bewegten sich tatenlos an der Unfallstelle vorbei. Doch nicht nur auf der Straße herrscht Gleichgültigkeit. In Wittmund ertrinkt ein Mann bei einem Hafenfest – nur wenige Meter entfernt von einer Familie im Tretboot und unter den Augen tausender Besucher am Ufer. Im Frühjahr 2009 erleidet ein achtjähriges Mädchen im Schwimmbad das gleiche Schicksal. Zum Zeitpunkt des Unglücks waren an die zehn Erwachsene im Becken. Hätte das Mädchen gerettet werden können, wenn ein Bademeister seinen Job besser gemacht hätte? Oder wenn die anderen Badegäste aufmerksamer gewesen wären?
Wie wichtig die Hilfe der anderen ist, zeigt eine Studie der Universität Leipzig: Das Überleben von Unfallopfern hängt maßgeblich davon ab, ob zufällige Zuschauer aktiv werden. Hierzulande stirbt jeder zehnte Unfalltote, weil ihm niemand rechtzeitig geholfen hat. Wenn Zuschauer und Nichthelfer nach den Gründen gefragt werden, nennen sie vier Ursachen immer wieder:
Ich fühle mich der Situation psychisch nicht gewachsen
Einige Menschen haben große Angst, leidenden oder sterbenden Menschen zu begegnen. Können sie den Kontakt verhindern, werden sie das tun. Das Verhalten stellt eine Art Selbstschutz dar. Die Angst lässt sich jedoch abbauen, zum Beispiel in einem Erste-Hilfe-Kurs. Hilfreich sind auch Rollenspiele oder die Konfrontation mit realen Situationen, beispielsweise durch Filme oder nachgestellt mit Puppen. Auch Erlebnisberichte von Ersthelfern eignen sich, mit der eigenen Scheu besser klarzukommen. Einen speziellen Trauma-Therapeuten können Sie hinzuziehen, wenn das Erlebte so stark nachwirkt, dass Sie es allein nicht bewältigen können. Die Profis setzen sich konkret mit Ihrer Situation auseinander und unterstützen Sie dabei, das Erlebte zu verarbeiten.
Ich weiß nicht, was ich tun soll
Jeder kann helfen, auch ohne Erste-Hilfe-Kurs: Die Unfallstelle sichern, Leichtverletzte betreuen, den Notruf absetzen. Auch beruhigende Worte sind wirksam: Sie lindern bei Verletzten und Helfern die Angst und das Entsetzen um das Geschehen. Besonders ist Ihre Hilfe gefragt, wenn nur ein Ersthelfer vor Ort ist. Denn in den ersten Minuten nach dem Unfall müssen möglichst rasch mehrere Dinge parallel geschehen, beispielsweise mit wiederbelebenden Maßnahmen begonnen und professionelle Hilfe geholt werden. Hier ist jede helfende Hand gefragt.
Ich habe Angst etwas falsch zu machen
Durch meine Hilfe schade ich mehr, als dass ich nutze. Diese Furcht ist weitverbreitet – und dennoch unbegründet. Im Gegenteil: Weit mehr Menschen sterben, weil ihnen keiner geholfen hat, als dass Menschen durch falsche Rettungsmaßnahmen zu Schaden kommen. Beispiel Herzkreislaufversagen: Je länger das Gehirn und der restliche Organismus ohne Sauerstoff sind, desto häufiger treten Komplikationen und dauerhafte Schäden auf. Hier ist es wichtig, so rasch wie möglich mit lebensrettenden Maßnahmen zu beginnen.
Der Laienhelfer haftet übrigens nicht, wenn ihm beim Helfen ein Fehler unterläuft. Er muss sich allerdings bemühen,
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