Zivilcourage - Keine Frage
Effekten in der Gruppe spielt die Persönlichkeit des Einzelnen eine Rolle, ob er ein Nichthelfer ist – und bleibt. Verschiedene biographische Faktoren prägen unseren Charakter: Bin ich in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen? War der Umgang miteinander respektvoll und tolerant? Wurden Empathie, Fürsorge, Herzenswärme und Achtung voreinander vermittelt? Darüber hinaus spielen persönliche Erfahrungen eine Rolle: Wurde mir schon einmal in einer brenzligen Situation geholfen oder nicht? Habe ich es in der Vergangenheit versäumt, zu helfen und plagen mich deshalb noch heute Gewissensbisse?
Folgende persönliche Faktoren hindern uns daran, zu helfen:
• Stimmungslage und Selbstbezogenheit,
• Unwille sich einzumischen,
• ungenügende Empathie,
• fehlende soziale Normen,
• ungenügende Kompetenz.
Die eigene Stimmung
Hatten Sie gerade Streit mit Ihrer Freundin und fühlen sich miserabel? Beschäftigt Sie die schwere Krankheit Ihrer Mutter, die Sie vorhin im Krankenhaus besucht haben? Hat Ihr Sohn schon wieder eine Sechs in Mathe nach Hause gebracht? Wer selbst Probleme hat und in Gedanken versunken ist, dem wird eine Notsituation durch das Eintauchen in die eigene Gedankenwelt seltener auffallen. Vielleicht stehen Sie auch unter Zeitdruck und hetzen zum nächsten Termin? Auch dann hat das Opfer es schwer, Ihre Aufmerksamkeit zu bekommen.
Expertentipp:
Es ist mitunter schwer, den eigenen Tunnelblick bewusst aufzugeben und Herz und Ohr für die Lage anderer offen zu halten. Schließlich gibt es ja einen Grund dafür. Dennoch lohnt sich die Anstrengung: Vielleicht denken Sie daran, dass auch Sie oder Ihre Familie die Nächsten sein könnten, die Hilfe brauchen. Nicht zuletzt tun Sie sich selbst etwas Gutes: Es wird Ihnen ein positives Gefühl geben, wenn Sie in einer Notlage eingreifen und einem anderen Menschen helfen. Außerdem rückt das Leid des Opfers die eigenen Sorgen zumindest kurzzeitig in den Hintergrund oder lässt sie in einem anderen, realistischeren Licht erscheinen.
»Dominik und mein Sohn wären noch am Leben, wenn noch mehr Leute da wären. Das müssen wir lernen. Die Gesellschaft muss das lernen, dass wir (Anm.: die Helfer) die Mehrheit sein sollten. Zivilcourage darf nicht aussterben.« 12
Unwille sich einzumischen
Nicht selten hindert uns auch eine innere Stimme, die sagt: » Misch dich lieber nicht ein « , oder: » Weshalb solltest ausgerechnet du den Kopf hinhalten? « , daran, zivilcouragiert zu handeln. Grund dafür sind Erfahrungen, die Sie gemacht haben oder die Ihnen erzählt wurden. Sich einzumischen bringt häufig Ärger und Unannehmlichkeiten mit sich. Dieser Impuls ist übrigens besonders stark, wenn wir für unser Engagement in die Privatsphäre anderer vordringen müssen: Die Mutter schlägt ihr Kind im Supermarkt. Eine Frau wird ihrem Partner gegenüber handgreiflich. Häusliche Gewalt und Kindesmisshandlungen werden deshalb besonders selten angezeigt. Außerdem neigen wir dazu, unser eigenes Handeln zu entwerten. » Ich kann doch ohnehin nichts ändern, meine Stimme hat doch kein Gewicht. «
Expertentipp:
» Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein Riesenschritt für die Menschheit « , sagte Neil Armstrong nach seiner Mondlandung 1969 . Ein schönes Zitat, das sich auch auf das Thema Zivilcourage übertragen lässt. Viele gesellschaftlichen Gegebenheiten haben sich erst durch das Engagement Einzelner entwickelt: Die Proteste von Bürgerinitiativen verhinderten in den Siebzigerjahren den Bau des Kernkraftwerks Wyhl am Kaiserstuhl. Ein sächsischer Hotelier weigerte sich vor wenigen Jahren, NPD-Funktionäre zu beherbergen. Der Frankfurter Arzt Fritz Kahl behandelte im Dritten Reich trotz Verbotes weiterhin jüdische Patienten. Außerdem versteckten er und seine Frau mehrere Juden und verhalfen ihnen erfolgreich zur Flucht. Helfen nutzt also. Jeder kann in seinem Rahmen jeden Tag Zivilcourage üben. Mischen Sie sich lieber einmal zu oft ein – später könnte es Ihnen leidtun, dass Sie nichts gemacht haben.
Fehlende Empathie
Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, ihre Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse nachzuvollziehen. Eine aktuelle Studie von Psychologen der University of Michigan zeigt, dass das Einfühlungsvermögen zumindest unter amerikanischen Studierenden in den letzten Jahren abgenommen hat. Die Studenten hätten heutzutage 40 Prozent weniger Empathie als ihre Kollegen von vor 20 oder 30 Jahren.
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