Zivilcourage - Keine Frage
und Angela Hermann von der Universität Tübingen interessierten sich für das Phänomen Zivilcourage. Der Politologe und die Pädagogin befragten Berufsschüler zu Situationen, in denen diese eingegriffen hatten – oder eben nicht. 17 Die Ergebnisse der verschiedenen wissenschaftlichen Publikationen ähneln sich. Vier Merkmale prägen offenbar die persönliche Entwicklung des Helfers:
• Ein faires Miteinander von Eltern und Kindern sowie der Eltern untereinander,
• eine liebevolle und warmherzige Erziehung,
• eine enge Bezugsperson, die vorbildlich Zivilcourage und Empathie demonstriert,
• Unterstützung durch eine Gruppe.
Zivilcouragiert handeln Menschen vor allem dann, wenn ihr Werte- oder Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird. Diese Werte prägt in erster Linie das Elternhaus. So wachsen Menschen mit Zivilcourage meist mit Eltern auf, die in Konflikten nicht autoritär und mit Gewalt reagiert haben, sondern sich mit ihren Kindern vertrauensvoll und fair auseinandergesetzt haben. Menschen, die selbstlos handeln, haben in ihrer Kindheit viel Liebe und Zuwendung erhalten. Dadurch können sie später Mitleid und Empathie empfinden – und danach handeln.
Eine entscheidende Phase für eine positive Entwicklung des Kindes ist das Alter von zwei bis vier Jahren. In dieser Zeit lernen die Kinder mit Geboten und Verboten umzugehen. Viele Kinder rebellieren, testen in dieser Zeit ihre Grenzen aus – und treiben ihre Eltern nicht selten zur Verzweiflung. Doch Anstrengung hin oder her – wie die Eltern auf ihre kleinen Rebellen reagieren, ist wichtig. Verlangen sie ihren Kindern vor allem Gehorsam ab, der den kindlichen Willen bricht, und beharren sie auf der elterlichen Position? Oder machen sich Eltern die Mühe und setzen sich mit ihren Kindern auseinander? Schon diese frühe Kindheitsphase entscheidet darüber, ob ein Mensch später ein gesundes Selbstbewusstsein, Eigenwillen und Zivilcourage besitzt oder ob er auf Autoritäten trotzig regiert oder blinden Gehorsam entwickelt.
Halten Menschen Hilfe für selbstverständlich, kommt das nicht von ungefähr. Nicht selten leben sie in einer Großfamilie, Gemeinde oder mit einem großen Freundeskreis und fühlen sich so unterstützt und anerkannt. Viele beschreiben außerdem mindestens einen Elternteil, einen nahen Verwandten oder einen Lehrer als ihr Vorbild, das sich verlässlich für andere Menschen eingesetzt hat. Wer von anderen Menschen vorgelebt bekommt, wie Zivilcourage funktionieren kann, wird im Ernstfall eher motiviert sein einzugreifen als jemand, dem diese positive Orientierung fehlt.
In den frühen Morgenstunden des 25 . April 2006 werden Sonja und Wolfgang Radecker durch verdächtige Laute und menschliche Schreie geweckt. Sie eilen auf den Balkon und sehen den Zeitungsboten Willibald W., der von einer Gruppe junger Leute mit Schlägen traktiert wird. Die Angreifer halten ihn fest und prügeln wie von Sinnen minutenlang auf ihn ein, auch als der 50 -Jährige bereits am Boden liegt. Die Radeckers schreien zu den Tätern hinüber, dass sie den Mann in Ruhe lassen und abhauen sollen. Sie alarmieren die Polizei und den Notarzt. Als die Schläger schließlich von dem schon schwer verletzten Opfer ablassen, kümmert sich Wolfgang Radecker um das Opfer. Willibald W. überlebt, leidet aber bis heute massiv unter dem Erlebten.
Pro Mut, contra Angst
Zivilcouragiert zu handeln heißt die eigene Angst zu überwinden – und Mut zu zeigen. Denn oft gehen Situationen, in denen Menschen Hilfe brauchen, auch mit Gefahren und Risiken für die Helfer einher. Nicht selten sind Helfer verbalen und körperlichen Attacken ausgesetzt. Ihr Handeln kann zudem drastische soziale Konsequenzen nach sich ziehen: Der Helfer wird versetzt oder verliert seinen Job, weil er sich gegen den Chef zur Wehr setzt. Er wird angepöbelt, weil er seine Meinung sagt. Freunde wenden sich von ihm ab, weil sie sein geradliniges Verhalten beschämt oder sie die Konsequenzen nicht mittragen möchten.
Irene Durukans Umwelt beispielsweise reagierte auf ihr Eingreifen bei einer Schlägerei mit reichlich Unverständnis. Sie sei dumm gewesen, hieß es aus der Nachbarschaft. Sie sei selbst schuld daran, als es ihr einige Wochen nach der Tat psychisch schlecht ging, ließ der Freundeskreis verlauten. Sie wolle nur im Mittelpunkt stehen, sagten Neider. » Man fällt mit seinem Helfen aus einer Rolle heraus, die von der Gesellschaft vorgegeben ist « , sagt Durukan.
Im Fall der beherzten
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