Zivilcourage - Keine Frage
das Hitlerattentat durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder die Sitzblockade des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse. Doch vergessen wir nicht: Zivilcourage beginnt schon im Kleinen. » Als hörbarer Protest gegen eine fremdenfeindliche Parole, als Solidarität mit einer ins Abseits gedrängten Kollegin, als wachsames Einschreiten, wenn ein Kind geschlagen wird, auch diese Momente erfordern Zivilcourage « , sagt Veronika Brandstätter-Morawietz, die in Zürich den Lehrstuhl für Motivationspsychologie leitet. Die Zürcher Wissenschaftler haben drei prototypische Situationen definiert, die Zivilcourage erfordern: Parole, Pöbelei und Prügelei.
Parole:
Über eine nicht anwesende Person wird abfällig gesprochen.
Pöbelei:
Eine Person wird verbal angegriffen.
Prügelei:
Eine Person wird tätlich angegriffen.
Im Waschsalon in Wiesbaden hat eine ganze Gruppe von Menschen zugesehen, wie ein Mädchen litt: Sie fror, war schmutzig, wies Spuren körperlicher Gewalt auf – und bedurfte ganz offensichtlich der Hilfe anderer. Vierzehn Menschen haben geschaut, zwei haben reagiert: In einem günstigen Moment riefen die Schröders per Handy die Polizei.
Drei Eigenschaften des Helfers
Warum reagierten nur die Schröders? Was war mit den vierzehn anderen Anwesenden? Wie konnten sie tatenlos den Blick abwenden oder so tun, als hätten sie das Elend des kleinen Mädchens nicht bemerkt? Was unterscheidet Menschen wie die Schröders, die reagierten und die Polizei riefen? Veronika Brandstätter-Morawietz und ihre Kollegen haben die Eigenschaften von Helfern in verschiedenen Studien untersucht. Sie stellten fest, dass sich Helfer vor allem durch drei Persönlichkeitsmerkmale auszeichnen. Meist greifen die Charaktereigenschaften ineinander:
• Empörung, wenn soziale Regeln nicht eingehalten werden,
• Empathie,
• Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein.
Menschen wie die Schröders empfinden soziale Verantwortung. Sie achten darauf, dass sie und ihr Umfeld sich an die Grundregeln des menschlichen Umgangs halten. Und das auch in ganz alltäglichen Situationen: Der Zivilcouragierte reagiert auf rassistische Bemerkungen in der Geburtstagsrunde, er reagiert, wenn er einen gewaltsamen Streit in der Nachbarwohnung bemerkt oder sein Chef über die abwesende Kollegin lästert. Im Großen geht es » um demokratisch-humane Grundwerte, es geht um Toleranz und Solidarität « , so erklärt Brandstätter-Morawietz in einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte. Soziale Verantwortung findet sich bei nahezu allen zivilcouragierten Menschen: Sowohl bei jenen, die Juden im Nationalsozialismus geholfen haben, als auch bei denen, die bei Verkehrsunfällen rettend eingreifen, lassen sich bei dieser Eigenschaft besonders hohe Werte auffinden.
Dabei spielt auch die Selbstkonsistenz eine Rolle. Sie beschreibt das Phänomen, dass Menschen bestrebt sind, ihre inneren Einstellungen, Meinungen und Werthaltungen mit den äußeren Umständen zu harmonisieren. Geraten sie also in eine Situation, die ihren persönlichen Werten und Überzeugungen widerspricht, müssen sie sich einmischen. Dem Helfenden geht es also nicht unbedingt in erster Linie um das Opfer, sondern um sein persönliches Empfinden, wenn etwas Unrechtes geschieht. So verfolgte die 74 -jährige Ruth Schlemm einen Mann, der eine andere Frau überfallen und zu Boden geschlagen hatte. Schon mehrfach habe es in ihrem Leben Situationen gegeben, in denen Schlemm anderen beistand: » Lieber würde ich sterben, als nicht zu helfen « , sagt sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung im September 2009 .
Die zweite wichtige Eigenschaft des Helfers ist seine Empathie. Dieser Charakterzug beschreibt die Fähigkeit von Menschen, sich in die Lage anderer Personen zu versetzen. Der Zivilcouragierte empfindet nach, was das Opfer gerade erlebt. Er nimmt also dessen Perspektive ein. Es schmerzt ihn persönlich, wenn der Jüngere bloßgestellt, der Schwache benachteiligt und der Hilflose belästigt wird. Er ergreift Partei für eine andere Person. Empathische Menschen helfen, weil sie eine Situation als unrecht oder ungerecht empfinden oder sie Mitleid mit dem Opfer haben.
Das dritte Persönlichkeitsmerkmal des typischen Helfers heißt Selbstvertrauen: Helfer sind Menschen, die an sich glauben. Sie sind überzeugt, dass sie das, was sie anpacken, erfolgreich beenden. In ihrem Selbstvertrauen liegt die Gewissheit begründet, in einer bestimmten Situation » im Recht « zu sein, ein ihnen
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