Zivilcourage - Keine Frage
hört doch auf! Schämt Euch! Das geht nicht!‹ Mir schossen meine Kinder durch den Kopf; sie könnten es sein, die da am Boden liegen. Ich war wütend über diesen ungerechten Kampf: eine ganze Horde gegen einen Einzelnen. Wie ich so rumbrüllte, stob der Pulk auseinander.
Nur zwei Jugendliche blieben zurück und machten weiter: H. und noch jemand. H. trat und schlug immer noch auf den am Boden liegenden jungen Mann ein. Ich schrie ihn an. Ich hatte den Impuls, ihn wegzureißen, doch ich schreckte davor zurück. Mir war wohl klar, dass auch ich die Zielscheibe seiner Aggressionen werden könnte. Er ging dann ganz langsam rückwärts. Diese Langsamkeit hat mich total provoziert, es wirkte so überheblich.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass ein paar Nachbarn um uns herumstanden. Ich habe sie als sehr passiv in Erinnerung, keiner tat etwas. Mein Schreien hat die Leute dann wohl wachgerüttelt. Eine Nachbarin rief die Polizei, ein Nachbar den Krankenwagen.
Ich ging zu Basti, dem jungen Mann, der auf dem Boden lag. Ich streichelte ihn und redete beruhigend auf ihn ein. Er blutete aus Mund und Nase. Er tat mir so leid. Wahrscheinlich würde er lebenslang traumatisiert sein, auch wenn die körperlichen Verletzungen gut verheilen.
Ich war so wütend über diese Sinnlosigkeit.
Ich hatte dem Täter in die Augen geschaut. Er wusste, wer ich bin, kannte mich vom Sehen. Ich bin bekannt in Bad Aibling, engagiere mich ehrenamtlich für Kinder und Jugendliche. Aber ich hatte keine Angst. Denn wenn H. mir etwas tun würde, spräche sich das schnell rum. Das würden einige Jugendliche nicht durchgehen lassen.
Auch nach der Tat begegnete ich H. mehrmals. Er wohnte gleich um die Ecke von meiner Arbeit. Ich bin ihm nicht ausgewichen, nein, ich wollte kein Opfer sein. Ich habe keine Angst vor dir, das habe ich ihm immer wieder demonstriert.
Die Polizei ermittelte ihn erst zwei Monate nach der Tat, nachdem ich sie telefonisch auf seinen Aufenthaltsort aufmerksam gemacht hatte. Es gab eine direkte Gegenüberstellung. Als H. sich zur Seite drehte, wusste ich, dass er es war. Sein Profil hatte sich in jener Nacht fest in mein Gedächtnis eingebrannt. Die Anklage und der Prozess zogen sich noch ein Jahr hin. Denn es gab keine Zeugen, niemand machte eine Aussage. Es herrschte eine Mauer des Schweigens.
H. spielte sich später auf wie ein Held, prahlte regelrecht mit der Tat. Einer der Mitläufer stellte sich später freiwillig. Er kam nicht damit klar, was er in der Nacht angestellt hatte. Gegen H. und den zweiten geständigen Täter wurde gemeinsam verhandelt. Der zweite bekam ein Jahr und drei Monate zur Bewährung. Außerdem musste er 500 Euro Schmerzensgeld an Basti zahlen. Er zeigte sich einsichtig; für den Richter war die Sache erledigt. Ganz anders H. Er hat nichts begriffen, hat sich nur halbherzig bei Basti entschuldigt. Der Richter erhöhte H.s Strafmaß nach einer Revision des Staatsanwaltes auf zwei Jahre und sechs Monate Haft.
Ich kann nicht verstehen, dass Leute bei einer solchen Tat einfach danebenstehen und glotzen. Ich habe selbst 1988 in Frankfurt eine ähnliche Situation erlebt. Ein Mann wollte mich auf einer Brücke zu sexuellen Handlungen zwingen. Ich versuchte abzuhauen, aber er hat mich wieder eingefangen. Ich gab ihm dann klar zu verstehen, dass ich nicht mitmache. Das hat ihn total verunsichert. Er hat mir noch mein Geld abgenommen und haute dann ab. Nach ein paar Schreckmomenten bemerkte ich, dass die ganze Zeit ein Mann in der Nähe gewesen war, ein Obdachloser wahrscheinlich. Er hatte nichts getan, um mir zu helfen, gar nichts. Da schwor ich mir, niemals so zu sein.«
5 Da sein für andere
» Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat,
desto weniger Helden wird es einmal brauchen. «
Franca Magnani
5.1 | Bürger-Engagement und unternehmerisches Engagement
Es ist Dienstagmorgen, ein besonderer Tag für Moritz. Der 13 -jährige Gymnasiast geht heute nicht wie üblich in die Schule, sondern zum ersten Mal in seinem Leben arbeiten. Im Waldorfkindergarten im Norden Berlins deckt er den Tisch für die Krabbelgruppe, spielt mit den Buben im Garten Fußball und räumt mit der Spätgruppe den Tobe-Raum auf. Am Abend hält er 100 Euro in der Hand, sein erstes selbst verdientes Geld. Dass der Tageslohn nicht für die eigene Tasche gedacht ist, sondern in Hilfsprojekte auf dem Balkan fließt, bedauert der Berliner. » Aber nur ein bisschen « , sagt er. » Wenn ich weiß, dass wir so Straßenkindern in
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