Zivilcourage - Keine Frage
Zivilcourage nicht mehr verankert zu sein. Es ist etwas Besonderes, wenn man nach dem anderen schaut, wachsam ist und sich gegen Ungerechtigkeiten wehrt.
Dabei ist Zivilcourage aus keiner Gesellschaft wegzudenken. Es ist paradox: Durch soziale Netzwerke und die Medien wissen wir immer mehr voneinander. Das sollte uns eigentlich die Chance geben, offener, gelassener und liberaler miteinander umzugehen. Doch das Gegenteil ist der Fall.
Ist München logische Konsequenz dieser gegenseitigen Missachtung?
Nein. Ich hoffe nicht, dass unsere Gesellschaft schon so verroht ist, dass solche Ereignisse Alltag sind. Aber es zeigt, wie einige Menschen hierzulande miteinander umgehen. Viele Leute leben in großer Verunsicherung, haben finanzielle Nöte, Angst vor dem sozialen Abstieg. Dass ihre Kapazitäten begrenzt sind, sich um andere Menschen zu kümmern, ist verständlich. Dennoch sind gerade in schlechten Zeiten Werte wie Zivilcourage und Aufmerksamkeit wichtig für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Spielen Werte in unserer Gesellschaft keine Rolle mehr?
Ich weiß es nicht. Wenn Familien heute aber abends nicht mal mehr zusammen essen, geschweige denn miteinander reden, bleiben Tugenden und Werte sicherlich auf der Strecke. Wer soll den Kindern das denn vermitteln?
Ist das nicht demotivierend für Ihre Arbeit?
Sicherlich, meine Arbeit gegen das Vergessen ist eine Sisyphusarbeit. Sie fragen mich, ob ich darin einen Sinn sehe. Ja, das tue ich. Denn es geht nicht darum, auf Ergebnisse zu reagieren. Es geht darum, eine Haltung einzunehmen. Und gemeinsam weiterzukommen, auch wenn es nur ein kleines Stück ist.
Wie hat sich bei Ihnen eine Haltung entwickelt?
Ich bin zeitweise bei meinen Großeltern aufgewachsen, die sieben Kinder großgezogen haben. Ohne darüber nachzudenken, welche Werte sie mitgeben müssen, lebten sie mir vor, worum es im Leben geht: Dass es selbstverständlich ist, sich umeinander zu kümmern. Meine ersten Reisen nach Israel konfrontierten mich dann mit unserer Geschichte, von der ich bis dato in der Schule noch nicht viel gehört hatte. Durch diese Erfahrungen hat sich bei mir eine Haltung entwickelt, sie haben mich zu dem gemacht, was ich bin.
Ist es vielen Menschen egal, was um sie herum passiert?
Das kann ich nur vermuten. Ich beobachte eine Verunsicherung unter vielen jungen Menschen. Sie wissen weder, was die Gesellschaft von ihnen erwartet, noch, was sie selbst wollen – und verlieren jeglichen Antrieb. Ich habe auch viel gezweifelt – zum Beispiel als ich alleinerziehende Mutter war. Aber ich bin an den Aufgaben gewachsen, habe neue Wege für mich entdeckt und viel dabei gelernt. Die Zeiten haben sich sehr verändert: Damals mussten die Menschen wach sein, sie haben angepackt, gemeinsam gekämpft für den Wiederaufbau. Heute kämpft jeder allein um seine Existenz – oder steckt gleich den Kopf in den Sand.
Wie kommen wir wieder zu mehr Zivilcourage?
Es gibt nicht die eine Antwort auf die Frage, wie Menschen wieder aufmerksamer miteinander umgehen. Zivilcourage, Empathie, Aufmerksamkeit für andere, das sind natürliche Zustände, keine Besonderheiten. Viele Wege führen dorthin, wenn wir nur eine Regel beherzigen: keine Angst zu haben vor der Fremde, vor Menschen, die anders sind als man selbst.
Hat Zivilcourage mit Heldentum zu tun?
Nein. Zivilcourage hat meines Erachtens weder mit Heldentum noch mit Mut zu tun. Ich bin überhaupt nicht mutig und stark. Wenn wir Zivilcourage als etwas Heroisches vermitteln, überfordert das die Menschen. Wir sollten eher mit kleinen Gesten darangehen, spielerisch aufeinander achtgeben.
Wie können Eltern ihren Kindern das vermitteln?
Kinder müssen Dinge entdecken, sich ausprobieren, etwas selbstständig schaffen. Sie müssen sich auch einmal irren dürfen. Erst eigene Erfahrungen ermöglichen ihnen, sich offen auf Neues oder Anderes einzustellen. Eltern sollten ihre Sprösslinge deshalb aus ihrer gewohnten Komfortzone befreien und ihre Neugierde fördern. Kinder profitieren, wenn sie sich Dingen zuwenden, die sie bisher noch nicht kennen und daher vielleicht fürchten.
Sie sollen sich Dingen zuwenden, vor denen sie Angst haben?
Ja, denn sie werden schnell feststellen, dass das Neue, Ungewisse und Unvertraute ihnen Angst macht. Wenden sie sich dem zu, verliert es diese Macht. Toleranz und Offenheit ebnen Menschen den Weg, miteinander klarzukommen, ganz gleich wie unterschiedlich sie sind. Wir haben nur ein Leben, wir haben nur diesen einen
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