Zodius 01 - Ein Sturm zieht auf
»Wir brauchen die Geschosse.«
Endlose angespannte Minuten verstrichen. Michaels Miene wirkte nüchtern und unergründlich, doch Cassandra konnte dennoch die von ihm ausgehenden Emotionen wahrnehmen. Die Nervosität, die ihn von innen heraus auffraß. Der Gedanke, sich seiner Mutter stellen zu müssen, war eine bittere Pille. Tatsächlich graute ihm davor.
Doch vorhin hatte er sie daran erinnert, Soldat zu sein – also würde er sich der Situation stellen. Sie wusste es schon, bevor er zustimmte.
»Ich brauche ein Team bei der Taylor-Anlage, das sofort zum Angriff übergeht, wenn ich die Koordinaten durchgebe. Wenn die Männer gleich mit mir aufbrechen, kann ich sie mit dem Schutz des Winds aus dem Canyon schleusen.« Caleb nickte kurz, während sich Michael an Cassandra wandte. »Ich bin in ein paar Stunden zurück.«
Nutzlose Verzweiflung stieg in ihr auf. Sie wollte ihn anbrüllen, zu bleiben. Diese Nacht musste endlich enden. Dieser Krieg hatte schon zu tiefe Wunden gerissen, ihnen zu viel abverlangt. Doch sie konnte nichts tun, außer zu nicken. »Pass auf dich auf.«
Als tief in seinen Augen eine Regung aufflackerte, legte sich ein Schatten darüber, sodass sie glaubte, es sich eingebildet zu haben. Dann drehte er sich um und marschierte los. Sie begriff, dass sie mit der Angst kämpfte, ihn nicht lebend wiederzusehen. Diese Angst würde sie jedes Mal ertragen müssen, wenn er ging. Doch nicht, weil er Soldat war oder sie einen lautlosen Krieg führten. Sondern weil er Michael war.
18
»Sein Organismus passt sich gut an das Stufe-2-Serum an, obwohl es ihm so schnell zugeführt wurde«, berichtete Dr. Chin, der nur wenige Meter vom Bett seines Patienten entfernt stand.
Powell zeigte sich relativ unbeeindruckt von dieser Nachricht und missachtete so geflissentlich den wissenschaftlichen Fortschritt, der die Transformation von drei Monaten auf wenige Tage komprimiert hatte. Bis er vom Weißen Haus zum Rücktritt gezwungen worden war, hatte er in Groom Lake miterlebt, wie man zweihundertneun Soldaten zu GTECHs umwandelte. Im Moment hatte er jedoch kein Interesse daran, neue zu schaffen. Dass er dazu in der Lage war, hatte er bereits unter Beweis gestellt; zudem besaß er eine ausreichende Menge des Serums, um weitere hundert Männer behandeln zu können, wovon er die Regierung jedoch nicht in Kenntnis gesetzt hatte. Durch die Allianz mit der Regierung standen ihm genügend Männer zur Verfügung, allerdings würde Jocelyn das fehlende Modul beisteuern, das ihm eine angemessene Nutzung der neuen GTECHs erst möglich machte: Kontrolle.
»Wie es aussieht«, fuhr Chin fort, »hat er siebzig Prozent aufgenommen. Wir sollten …«
West zuckte plötzlich. Er riss die Augen so weit auf, als hätte man Fäden durch die Wimpern gewoben, die die Lider nach außen zogen.
Powell war dieser Anblick vertraut. Genauso sahen getroffene Soldaten auf dem Schlachtfeld aus, kurz bevor sie vom Tod erlöst wurden. Er taxierte Chin mit einer hochgezogenen Augenbraue.
»Bei einer derart rasanten Transformation lassen sich Nebenwirkungen nicht vermeiden«, erklärte Chin.
»O Gott«, sagte Jocelyn und hastete zu Brock. Sie schnappte sich die Augenmaske, die auf dem transportablen Tisch lag. »Das muss am Licht liegen.« Als sie sich vorbeugte, zuckte Brock erneut.
»Verdammter Mist, Jocelyn«, fluchte Powell. »Er wird Sie noch verletzen.« Brock war zwar fixiert, aber immer noch wild. »Sie sind keine verfluchte Krankenschwester.«
Powell warf Chin einen mahnenden Blick zu, der ihn auffordern sollte, einzugreifen. Wests unerträgliche Schmerzen waren Powell gleichgültig, Jocelyn hingegen widerstrebte es, anderen Menschen Leid zuzufügen; auch wenn sie mit der Produktion von Massenvernichtungswaffen im Grunde genommen nichts anderes tat. Seit dem Tod ihres Mannes war das Geschäft nicht mehr dasselbe. Indirekt zu töten, belastete sie nicht, zumal der Gewinn nicht zu verachten war – doch es aus nächster Nähe erleben zu müssen, war unerträglich. Auch wenn sie entnervend weiblich war, duldete Powell ihre Empathie. Denn es käme ihm mehr als ungelegen, wenn sie im letzten Moment Gewissensbisse plagten – das würde die Lage nur unnötig kompliziert machen.
»Nun legen Sie ihm schon die bescheuerte Maske an, bevor er sie noch verletzt.« Chin wirkte empört. Warum sollte ausgerechnet er die Krankenschwester spielen? Damit brachte er Powell erst recht auf die Palme. »Machen Sie schon!«, befahl er leise, aber
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