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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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Küche mit einem großen Holztisch, auf den Stühlen ringsherum lagen Kissen. Auf der anderen Seite schaute hinter einem Perlenvorhang eine große Badewanne auf Löwenfüßen hervor.
    Die alte Frau in dem Bett musste früher einmal sehr hübsch gewesen sein. Sie schien von innen heraus zu leuchten. Ihre sanften braunen Augen waren mandelförmig, und um den Kopf hatte sie sich ein gebatiktes Tuch wie einen Turban gewickelt. Sie nähte an einem Quilt, der in den großen Holzrahmen auf ihrem Schoß gespannt war, und dabei redete sie wie ein Wasserfall auf einen Mann ein. Er hatte ein rosiges Gesicht und einen schon ziemlich kahlen rosa Schädel, über den einige weiße Haarsträhnen gekämmt waren. Er saß zusammengesunken in einem der breiten Sessel, seine Hände ruhten auf dem gebogenen Griff seines Spazierstocks, den er zwischen den Beinen stehen hatte.
    »Padre«, sagte sie, als ihr Blick auf mich fiel, »ich habe eine Vision.«
    »Dann habe ich auch eine«, sagte der alte Mann und drehte sich steif in meine Richtung. »Ich bin Pater Philip.«
    »Besser bekannt als der Padre «, ergänzte Bessie.
    »Ich würde ja zur Begrüßung aufstehen«, sagte er, »aber ich bin alt und klapprig.«
    Die alte Dame lächelte mich an. »Ich bin Bessie, Schätzchen.« Sie legte ihr Nähzeug weg und streckte ihre beiden kleinen Hände nach mir aus, sodass ich gar nicht anders konnte, als sie zu ergreifen.
    »Zoë«, sagte ich.
    Sie beugte sich vor und nahm mein Gesicht zwischen ihre kühlen Hände. Sie duftete nach Zimt. »So oft habe ich Gott gebeten,mir ein Kind zu schicken, und du siehst so aus, als könnte es dir nicht schaden, ein bisschen bemuttert zu werden. Wieso hast du bloß so lange gebraucht, um zu uns zu kommen?«
    »Das weiß ich auch nicht«, sagte ich.
    Pater Philip und sie sahen sich an und lachten, während Fred nur kopfschüttelnd dabeistand. »Ich mach dir erst mal deinen Tee«, sagte er zu Bessie, bevor er in die Küche ging.
    »Haben Sie all diese Decken selbst genäht?«, fragte ich und setzte mich in einen der großen Sessel.
    »Jede einzelne«, sagte sie. »So habe ich wenigstens was zu tun und muss nicht nur fernsehen oder mich um den traurigen Zustand der menschlichen Seele sorgen.«
    »Den überlassen Sie nur mir«, sagte der alte Mann.
    Bessie sah mich an. »Der Padre kommt mit seiner Predigt nicht voran.«
    »Sind Sie Prediger?«, fragte ich ihn.
    »Offenbar nicht«, antwortete er. »Jedenfalls kein guter.«
    »Die Gemeinde beschwert sich, er würde jeden Sonntag dasselbe predigen«, erklärte Bessie.
    »Und im Grunde haben sie ja recht«, sagte der alte Mann heiter.
    »Sie sagen jede Woche dasselbe?«, fragte ich.
    »So ziemlich.«
    Bessie stach ihre Nadel wieder in die Decke. »Ich sage ihm immer, er soll nicht damit aufhören, bis sie auf ihn hören.«
    »Mrs Wilson findet, ich höre mich an wie eine Schallplatte mit einem Sprung«, sagte der alte Mann, aber es kam mir nicht so vor, als würde ihm die Kritik etwas ausmachen.
    Ich verzog das Gesicht. »Die habe ich schon kennengelernt.«
    »So eine dumme Kuh«, kommentierte Bessie.
    »Sehr christlich hört sich das ja nicht gerade an«, rief Fred aus der Küche herüber.
    »Ach, sei still, du alter Heide«, antwortete Bessie. »Das ist die reine Wahrheit.«
    »Und was ist das, was Sie jeden Sonntag sagen?«, wollte ich wissen.
    »Dass wir Gott lieben sollen und einander«, antwortete der Padre ganz sachlich. »Darum dreht sich alles.«
    Ich fand, dass seine Botschaft viel für sich hatte, wenn man den Teil mit Gott mal wegließ.
    »Vielleicht«, schlug ich vor, »liegt es daran, wie Sie es sagen. Ich könnte Ihnen dabei helfen, es neu zu schreiben, bloß …«
    »Bloß was?«, fragte der Padre.
    »Gott ist nicht gerade mein Lieblingsthema.«
    »Wie meinst du das?«
    Ich zögerte.
    »Nur heraus mit der Sprache«, sagte Bessie. »Bei uns hier sagt jeder, was er denkt.«
    »Und zwar nicht zu knapp«, meinte Fred, der gerade mit Bessies Tee und einem Tablett mit diversen Pillen aus der Küche kam. Er setzte es auf Bessies Schoß ab und sah sie dabei mit einer Mischung aus Besorgnis und Bewunderung an.
    »Also«, sagte ich, »wenn ich dem Allmächtigen je gegenüberstehe, so von Angesicht zu Angesicht, dann muss er mir so einiges erklären. Ich habe eine ganze Liste von Sachen, die ich ihn fragen will, angefangen damit, warum er mir von allen möglichen Müttern ausgerechnet meine gegeben hat.«
    Alle drei sahen mich groß an, aber gleich darauf lachten sie

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