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Zoë

Titel: Zoë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Carmichael
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wieder herauskam. Anschließend nahm ersich einen Schweißhelm und gab mir auch einen. Dann drehte er ein Ventil an einer Flasche auf, die aussah wie die Sauerstoffflasche eines Tauchers, und erklärte mir, wie durch Hitze, Draht und Gas die silbrigen Schweißnähte entstehen, die die Metallteile miteinander verbinden.
    »So was wie ein Metallkleber«, sagte ich.
    »Schweißnähte sind stärker als jeder Kleber, so stark wie das Metall selbst. Schweißnähte verbinden den Stahl von Wolkenkratzern oder Brücken. Eine gute Schweißnaht bricht so gut wie nie.«
    Ich dachte an Bessie. Schade, dass es keine Möglichkeit gab, ihr Herz zu schweißen.
    Henry zeigte mir, wie man den Helm richtig aufsetzte, bevor er einen Schalter umlegte und sein Schweißgerät surrend ansprang. Hinter dem Helm war es staubig und dunkel, mein Atem klang fremd und laut, und durch das winzige Fenster konnte ich kaum etwas sehen. Henry richtete die Spitze seines Schweißbrenners auf die beiden Enden des Rohrs, die er zu einem Ring zusammenschweißen wollte. Der Brenner knisterte und knackte, vorn entstand eine helle Flamme von unheimlichem Grün, aus der Funken stoben wie bei einem gewaltigen Feuerwerk zum Unabhängigkeitstag. Es war Winter, und draußen schneite es, doch hier drinnen war der vierte Juli.
    Während ich Henry bei der Arbeit zusah, wurde ich lockerer. Unsere Unterhaltung über verrückte Menschen schien lange her zu sein. Henry warf seine Flex an, das Schleifgerät, um die Schweißnähte zu glätten und so einen nahtlosen Ring zu erhalten. Arbeit wirkte beruhigend auf Henry, auch seine rauen Kanten wurden dabei geglättet. Er griff nach einem zweiten Metallrohr und dann einem dritten und formte beide zu ebenso perfekten Ringen wie das erste.
    Ich versuchte, noch weitere Fragen zu stellen, aber er war völligauf seine Arbeit konzentriert, außerdem verstand man bei dem Lärm, den die Maschinen machten, sowieso kein Wort. So fühlte Henry sich wohl, dachte ich. Mit anderen Menschen zusammen zu sein lag ihm nicht so. Wir standen nur wenige Schritte auseinander, aber er entfernte sich von Minute zu Minute weiter, bis er vollständig an einem anderen Ort war, in einer Welt, in die er sich flüchtete, Einwohnerzahl: eins.

8
    Ständig kamen irgendwelche Bewunderer vorbei, Leute, die von Henrys Arbeit gehört hatten und ihn persönlich kennenlernen wollten. Andere kamen, um etwas Spezielles von Henry anfertigen zu lassen. Eine Auftragsarbeit nannte er das. Manchmal kamen auch Farmer aus der Gegend mit ihren Traktoren, an denen etwas zu schweißen war, und das tat Henry mit genau der gleichen Sorgfalt, mit der er seine Skulpturen schweißte. Besucher liefen auf dem Grundstück herum und betrachteten die Arbeiten, die dort aufgestellt waren, und wenn die Tür zu Henrys Atelier gerade offen stand, schauten sie auch schon mal rein, um Guten Tag zu sagen. Manchmal kam auch jemand, um eine der Skulpturen im Garten zu kaufen oder, wie Henry es nannte, »einer Skulptur etwas zu tun zu geben«.
    Als ich die alte Dame sah, die ihren Pick-up in der Einfahrt parkte, ausstieg und ihre Blicke schweifen ließ, nahm ich an, dass sie gekommen sei, um sich umzusehen, vielleicht auch, um etwas schweißen zu lassen. Fred war beim Einkaufen, und Henry war das kurze Stück die Straße hinaufgegangen, um nach Bessie zu sehen. Der Schnee war endlich so weit geschmolzen, dass man wieder gut durch den Wald laufen konnte, und ich konnte es kaum abwarten, endlich wieder zur Hütte zu gehen. Seit dem Tag, als es geschneit hatte, kamen Henry und ich besser miteinander klar, aber seit diesem Tag hatte er auch beinahe rund um die Uhr gearbeitet, manchmal sogar im Atelier übernachtet. Von der Schule mal abgesehen, war mein Leben nicht das schlechteste, nur dassHenry manchmal genauso abwesend war wie Mama, was mich daran erinnerte, dass Menschen und Situationen sich auch ändern können. Jedes Waisenkind mit Verstand braucht einen Plan B für den Notfall. Für mich war das die leerstehende Hütte im nördlichen Teil von Henrys Wäldern.
    »Wenn das nicht das wilde Kind ist«, sagte die Frau, kaum hatte ich die Tür geöffnet. Sie fixierte mich mit ihren alten Augen, und dann inspizierte sie mich von Kopf bis Fuß, zentimeterweise, so gründlich, wie noch nie jemand zuvor. Ich hätte schwören können, dass sie nachgezählt hat, ob ich zehn Finger und zehn Zehen hatte und auch sonst alles komplett war.
    »Wie bitte?«
    »Der ganze Ort redet davon. Also habe ich mir

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