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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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bestimmt hatte.
    Er steckte zwei Quarter in die Tischmusikbox, die ihm am nächsten war. Er hatte keine zwei Quarter, aber das war okay. Die Musikbox sprang klaglos an, und er hörte, wie das Zusammenwirken der verborgenen Hebel die Single auf ihren Liegeplatz über dem Staub beförderte. Lebhaft blinkend gingen die Lichter im Gerät an, nach und nach auch die des Eckleuchters bei den Toiletten, die über der Bar und in den Nischen, und dann vokalisierten sämtliche Lampen.
    Zitternd erwachte sein Gerät zum Leben. Die Boxen nahmen den Song in der dritten Strophe auf und plärrten in der voreingestellten, ohrenbetäubenden Lautstärke los. Ein Viertel der Gäste begann mitzusummen und den Kopf zu wiegen; vor zwölf Sommern war das ein fetziger Hit gewesen. Die Stammgäste auf ihren Posten meckerten darüber, wann die Geschäftsführung endlich den wackeligen Hocker reparieren lassen würde, sie litten schon seit Wochen. Die Freundin des Barkeepers versuchte diesen auf sich aufmerksam zu machen, aber er praktizierte den selektiven Blick, der zu den Fertigkeiten seines Gewerbes zählte und den er auch oft genug einsetzte, wenn er nicht hinterm Tresen stand. Dann sah er sie und grinste. Es war ihr Jubiläum. Drei Monate. Schmutzige Teller marschierten den Arm des Hilfskellners hinauf; er tat so, als ließe er einen fallen, scherzte mit dem älteren Paar, das vor dem Bridge noch einen Happen aß. Jede Woche das Gleiche, die gleichen Gerichte, das gleiche lausige Trinkgeld. In der Ecke stimmte die ausgelassene, achtköpfige Gesellschaft »Happy Birthday« an, und die Gäste in der unmittelbaren Umgebung wurden genötigt, mitzusingen oder wenigstens mit den Lippen den Text zu formen. Die Wirtin führte die Termitenspezialisten zu einem Tisch unter dem Flachbildschirm, und sie baten um einen anderen. In einer halben Stunde fing das Spiel an, und sie hassten den Anmoderator so inbrünstig, dass sie sich schon den ganzen Tag darauf gefreut hatten, über ihn lästern zu können. Ausnahmsweise einmal wirkte die neue Diät der Wirtin, alle sagten ihr das immer wieder, und es schien, als meinten sie es auch so. Tatsächlich war ihr die Kluft zu groß. Zum Glück hatte sie noch irgendwo ihre alte, oder hatte sie die ausgemustert? Dann grölte ein anderer Tisch ein betrunkenes »Happy Birthday«, obwohl keiner aus ihrer Gruppe Geburtstag hatte, denn sie unterlagen irrtümlicherweise dem Eindruck, sie verdienten sich damit eine Gratisrunde. Sie verwechselten die eine mit der anderen Restaurantkette. Die neue Kellnerin trug den lauwarmen Hackbraten in die Küche zurück. Mit jeder Woche büßten ihre Entschuldigungen an Aufrichtigkeit ein.
    Seine Eltern waren genau da, wo er sie zurückgelassen hatte: Sein Dad stellte seinen Gürtel ein Loch weiter, und seine Mutter grinste, die Augen strahlend ob seines Anblicks, und sog an dem übergroßen Trinkhalm in ihrem Banana Daiquiri. Das rote Vinyl war noch warm. Es war ihr Ausgehabend.
    »Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?«
    Inzwischen war die Welt Dreck. Aber Systeme sind schwer totzukriegen – sie überleben ihre Schöpfer und brauchen im Gegensatz zu Seuchen keine Wirte –, und deshalb war sie ein gut organisierter Dreck mit einer Hierarchie, Zuständigkeiten und, in zunehmendem Maße, Papierkram. Bozeman bekleidete innerhalb der aktuellen Ordnung den Posten von Wontons oberstem militärischem Verwalter, Hauptgarant für die holistische Integrität des Camps in allen seinen Aspekten. Jeden Abend legte sich Bozeman die Garnison über die Schulter, ließ sie Bäuerchen machen und sang zum Einschlafen Arbeitsaufträge. Er kannte den geheimen Inhalt der Päckchen in den Bäuchen der Hubschrauber, die kreuz und quer über die Küste flogen, er stellte sicher, dass die vorgesehenen Kaliber die wartenden Patronenlager erreichten, er trug nachts, wenn er schlief, den Schlüssel zu dem Kühlschrank mit den Porterhouse–Steaks aus Weidehaltung für die großen Tiere an einer Kette um den feisten Hals. Mark wunderte sich, ihren Betreuer am Steuer des Jeeps zu sehen, da der Mann die Büros im ersten Stock der Bank kaum je verließ. Bestimmt schrumpfte er umso mehr, je weiter er sich von Ground Zero entfernte.
    Eine Zivilistin, die in einem schwarzen Bleistiftrock und einer weißen Bluse auf dem Beifahrersitz saß, taxierte Mark Spitz über die blaugetönten Gläser ihrer Sonnenbrille hinweg. Sie war ein Meteor, der aus einem anderen Teil des Sonnensystems oder einem noch entlegeneren Ort hier

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