Zone One: Roman (German Edition)
notierte und dabei ein Grinsen unterdrückte, erzählte er dem Besucher, dass Jerry, als er mit Frischfleisch an der Tür auftauchte, nach der Pro-forma-Überprüfung sofort zum Bleiben aufgefordert worden sei. Jerry hatte sich bei Ausbruch der Seuche der Nationalgarde von Massachusetts angeschlossen und dabei seine ausgezeichneten Ortskenntnisse – »Schließlich habe ich den Leuten fünfzehn Jahre lang geholfen, in Hampshire County ihr Traumhaus zu finden, verdammt noch mal« – und seine zwei Dienstzeiten in einem der Kriege im Nahen Osten ins Feld geführt. Den örtlichen Such- und Vernichtungstrupp gab es ganze drei Wochen und damit länger als viele andere im Land, obwohl er am letzten Tag, wie Jerry zugeben musste, nur noch aus ihm und einem ehemaligen Grüßaugust an einem der großen Kaufhäuser bestand, einem Mann, der an Altersschwachsinn litt und Jerry ständig mit ihrem Besuch im Zoo belemmerte. Nachdem der Mann im Schlaf gestorben war, jagte Jerry solo und kam gerade so über die Runden, bis er sich einer Karawane von sechs Wohnmobilen auf dem Weg nach Kanada anschloss. »Was man davon so hörte, klang gut«, sagte er, noch immer enttäuscht. Sie waren ein rückwärtsgewandtes Volk geworden, unterentwickelt und mittelalterlich: Die Welt ist eine Scheibe, die Sonne dreht sich um die Erde, in Kanada ist alles besser. Die Reisenden schafften es bis Niagara Falls, ehe das Ganze den absehbaren Verlauf nahm und auseinanderfiel, »und das ausgerechnet noch wegen einer Frau«. Er kehrte in seine Heimatstadt zurück, nachdem er den Winter in Buffalo verbracht hatte, nur drei Kilometer vom frischgebackenen Hauptquartier des Wiederaufbaus entfernt, was allerdings keiner im Haus wusste.
Das Trio beschloss zu bleiben. Bis die Skels endgültig wegstarben oder von einem wiederbelebten Staat und wachgerüttelten Bürgern, die es satthatten, in Höhlen zu leben und Ramen-Nudeln zu essen, ausgerottet wurden. »Das ist ein Krieg, den wir gewinnen können«, sagte Jerry. Die Jagd war gut, die Wasserversorgung zugänglich, und ihre einander ergänzenden Talente und Temperamente ergaben, soweit möglich, einen geselligen Haushalt. »Es ist schön, einen Vierten für Hearts zu haben«, gab Jerry nach dem letzten Spiel an diesem Abend zu, und Margie pflichtete bei. Mark Spitz streckte sich auf dem Wohnzimmersofa aus und schlief mit seiner Pistole unter einem mit Rüschen besetzten, weißen Kissen. Er träumte von Mim.
Er hatte nach den Hausbesitzern gefragt, aber niemand wusste, was mit ihnen passiert war.
Mitten in der Nacht wachte er auf. Jede Nacht vor dem Einschlafen vergegenwärtigte er sich seinen jeweiligen Aufenthaltsort, um das morgendliche Schwindelgefühl abzuwehren, die Desorientiertheit, die seine vollkommene Loslösung von allen Dingen bestätigte. Er hatte es vor sich hin gemurmelt: die Vorführkabine des Billigkinos, das Indie-Filme zeigte, die Ulme an der Überführung. Ein Farmhaus in New England. Er war beim Aufwachen nicht desorientiert, was seinen Aufenthaltsort anging, und lauschte auf das, was seine Ruhe gestört hatte. Es war erneut zu hören: Metall auf Metall. Auf dem Treppenabsatz tauchte Tad auf, den das Kerzenlicht auf seinem weißen Pyjama in einen Geist verwandelte.
»Zu dunkel, um erkennen zu können, was es ist«, sagte Tad. Sie warteten. Wieder klirrte der Alarm und verstummte dann. »Der Draht ist gerissen. Waschbären machen das«, sagte er. »Manchmal.«
»Du gehst nirgendwohin«, sagte Margie am nächsten Morgen zu ihm. Sie stellte eine Tasse Kamillentee auf den Frühstückstisch. »Nicht, bis die wieder weggehen.« In die auf die Fenster geklebte Dachpappe waren mit Klappen versehene Sehschlitze eingeschnitten. An diesem Morgen bestätigte der Blick aus jedem Fenster, dass die Toten unbegreiflicherweise von allen Seiten den Garten infiltrierten und schon etwa zehn auf das Grundstück vorgedrungen waren. Eine Ballerina mit Künstlerpech und ein Jugendlicher mit grünem Irokesenschnitt drehten Achter. Sie blieben da, trieben, anders als eigentlich zu erwarten, nicht wie Löwenzahnsamen davon, sondern verweilten auf dem Gelände.
Während die Stunden verstrichen, durchdachten die Hausbewohner das Problem. Mark Spitz hatte die Toten nicht angelockt, denn sie waren erst Stunden später aufgetaucht. Und sie hatten den Skels keinerlei Hinweis darauf geliefert, dass es im Haus etwas zu essen geben könnte; was ihre Vorsichtsmaßnahmen anging, waren sie sich ganz sicher. »Wir sind hier
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