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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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als wären sie bei einem Garagenflohmarkt eines Nachbarn gekauft worden, weil sie nostalgische Gefühle von Besuchen bei Großmutter heraufbeschworen hatten. Draußen war es noch hell, aber hinter den abgedunkelten Fenstern herrschte immer Mitternacht. Wahrscheinlich hatte man das Haus schon vor der Katastrophe nur ohne Schuhe betreten dürfen, und nun dämpfte diese Vorschrift die Geräusche so sehr, dass die Toten vorbeizogen.
    Er erzählte ihnen »die Anekdote« und hörte sich seinerseits ihre Geschichten an. Über Margie war die Letzte Nacht hereingebrochen, als sie sich gerade auf einer kleinen Insel vor Cape Cod aufgehalten hatte, wo sie dann das ganze erste Jahr des Zusammenbruchs blieb. Sie war Hausgast im Strandhaus eines Collegefreundes, badete und mampfte Clam Rolls, und wenn sie nicht beschlossen hätte, Montag Morgen statt wie geplant Sonntag Nachmittag abzureisen, hätte sie es vielleicht nicht geschafft. Auf der Insel gab es fünf Häuser; zwei standen an diesem Wochenende leer, und eine Familie beschloss, sich zu einem der Zufluchtsorte durchzuschlagen, die in jenen ersten Tagen hektischer Durchsagen und Aufrufe im Radio genannt wurden. Sie kehrten nie zurück. Damit blieben auf dem winzigen Sandklumpen zehn Menschen, die zusammen kämpften und sich quälten. Mit ihrem kleinen Ruderboot unternahmen sie zwecks Nahrungsmittelbeschaffung Ausflüge zum Festland, doch zumeist blieben sie auf ihren Inseldünen, angelten und warteten auf Neuigkeiten. Banditen suchten die kleine Schar heim, kamen eines Tages mit ihrer üblen Gesinnung an Land. Sie vergewaltigten, sie plünderten, sie verschonten nichts, nicht einmal die Hummerfallen, die sie hämisch grinsend an Land zogen. Margie war die Einzige, die entkam – auf ihre Fähigkeiten als Schwimmerin war sie schon immer stolz gewesen –, und ihr beschaulicher Aufenthalt hatte sie schlecht auf das Leben im Ödland vorbereitet.
    »Ich habe aufgeholt«, sagte sie. Sie spielten Hearts im Wohnzimmer. Mark Spitz wusste nicht, ob ihre Erinnerungen oder ihre Karten für ihr klägliches Gesicht verantwortlich waren. Sie hatte versucht, möglichst schnell nach Vermont zurückzukommen, wo sie für eine Firma arbeitete, die traditionell Eingemachtes verkaufte – »Auf den großen Bauernmärkten waren wir ganz stark vertreten« –, aber nie über die Grenzen des Staates hinauskam. Mit Tad tat sie sich in der Cafeteria einer High School zusammen, und gemeinsam kehrten sie mit großen Plastikbeuteln voller Eipulver zu dem Farmhaus zurück. Tad war im selben Jahr wie Mark Spitz geboren, hatte jedoch im Gegensatz zu diesem seine Berufung schon vor der Umwälzung gefunden: Er schrieb narrative Intermezzi für eine Computerspielfirma, die auf Ego-Shooter spezialisiert war. Tads Zwischensequenzen darüber, wie sich die Aliens in zwei einander feindliche Spezies aufgespalten hatten oder wie das magische Amulett in dem Vulkan verlorengegangen war, ermöglichten den Spielern, zwischen den einzelnen Levels ihre Daumen auszuruhen. Eine Ruhepause bei ihrem Questen durch das Blutbad.
    Tad hatte nach dem Sechsjahresplan das College besucht, kehrte nach regelmäßigen Beförderungen bei der Spielefirma dorthin zurück und mailte seine Skripts aus dem Wohngruppenhaus, das er sich mit seinen alten Kumpeln teilte. Seine Altersgenossen geisterten durch das lokale Dienstleistungsgewerbe, pappten vegetarische Sandwiches für Studentinnen oder hohläugige Doktoranden zusammen oder verkauften leicht gebrauchte Adirondack-Stühle, die muffeligen Ballkleider einer früheren Generation und Freizeitanzüge an Wochenend- und Sommergäste. Mit ihnen verglichen, verdiente Tad ein atemberaubendes Gehalt. Er entwarf die Barrikaden des Hauses, nachdem er sich »schlicht und einfach in das Ding verliebt« hatte. Der Gang zum Bach war relativ sicher, mit gutem Blickfeld, und nachdem er bei einer Reihe von Streifzügen auf Nachbargrundstücken Schwein gehabt hatte, brachte er einen ordentlichen Vorrat an Rationen zusammen. Bevor er das Haus fand, hielt er sich auf einer Marihuanafarm mit spirituell gleichgesinnten Menschen versteckt. Er wollte nicht darüber reden, wie die Situation dort in die Binsen gegangen war.
    Tad hielt sich nicht ohne Grund für einen Hearts-Guru. Er schoss an diesem Abend mit irritierender Häufigkeit den Mond ab, während Mark Spitz seine gewohnte Note-Zwei-Leistung ablieferte und ständig Zweiter oder Dritter wurde. Während Tad die Punkte des letzten Spiels an diesem Abend

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