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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Oberschenkel hochgerutscht. Hermann stand auf, stellte das Geschirr zusammen. Er dachte an Carmen, an ihren schlanken Körper, der sich federleicht drehte, wenn er ihr beim Tango zuschaute. Sie würde im Film die Rolle ihres Lebens tanzen, eine Odyssee aus den Villas Miserias von Buneos Aires in die Schweiz. Der Tango kommt aus den Slums, nicht vom Parkett. Wenn man das nicht mehr sieht oder spürt, dann ist er tot, hatte die legendäre Tanguera Carmen Calderón gesagt. Es würde ein poetischer und politischer Film werden, weitab vom sozialistischen Realismus, den die Partei einst diktiert hatte. Doch seit ein paar Tagen war Carmen verschwunden.
    «Ich Genossin, du weisst», liess sich Irina vernehmen. «Kommunistische Partei Belarus.»
    «Dann komm doch mit. Ein paar alte Genossen sind bestimmt da. Vielleicht machen wir Revolution.»
    Sie seufzte, stand auf, zog den Saum ihres Rocks straff. «Komm vorbei nach Trauerfeier. Neue Mädchen vorstellen.»
    «Und die Miete kassieren, gell.»
    Hermann trug das Geschirr zum Spültrog, putzte mit dem Lappen den Tisch, fing die Krümel mit der Hand auf wie einst Mutter. Sie hatte im Laden die Kunden bedient, während der Vater in der Werkstatt im Hof die Schuhe von Arbeitern und Einwanderern flickte. Der Schuhmacher hatte sich mit einem Leben ehrlicher Arbeit ein Haus zusammengespart, Nagel für Nagel. Ein geachteter Bürger war er gewesen, Mitglied der Bürgerpartei und Vorstand im Quartierverein. Gut, dass er nicht mehr erlebte, was aus seinem Sohn und Erben geworden war. Ein bankrotter Bordellvermieter und erfolgloser Filmemacher nach einer Karriere als Bummelstudent, Politaktivist, schreibender Arbeiter und unfähiger Sekretär der Kommunistischen Partei. Etwas muss sich ändern, dachte Hermann, und zwar schnell.

    Roberts Rücken schmerzte, wenn er sich zu drehen versuchte. Er lag auf einem Sofa mit Lehne, das durchhing. Durch ein Fenster über ihm fiel schwaches Licht in den Raum. Wo war er nur? Er schloss die Augen, dachte angestrengt nach. Nichts. Er war noch nicht richtig wach. Strassenlärm drang herein, im Haus ging eine Klospülung.
    Er öffnete die Augen, starrte zur Decke, wo sich Stukkaturen den Wänden entlang zogen, die Rosetten in den Ecken waren braun verfärbt, da und dort ein Stück Gips weggebrochen. Seine Füsse fühlten sich kalt an, die Zehenspitzen schauten unter einer Art Quilt hervor. Er war aus Stoffresten zusammengenäht, wie jene aus den Trödelläden in den Dörfern der Amischen im Süden von Iowa City. Marilyn hatte Berge solcher Quilts erstanden, sie stapelten sich gefaltet und eingemottet in einem Schrank ihres Hauses, gehörten zu all dem Plunder, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte. Er lag nicht in seinem Bett zu Hause, das war ihm klar, dort roch es nach Zimt und Rosenöl, die Zimmerdecken und Wände waren aus Holz.
    Allmählich ordneten sich seine Gedanken. Er war in der Schweiz, in Zürich. Am Vorabend angekommen ohne Koffer. Am Limmatquai hatte er eine junge Frau kennengelernt, sie hatte ihm eine Gelegenheit zum Übernachten angeboten. Zu Fuss hatten sie die Stadt durchquert, durch Strassen und Quartiere, die er nicht kannte. Er hatte den Schirm aufgespannt, sie ihr Velo neben sich her geschoben. Wie Vater und Tochter oder eher noch Grossvater und Enkelin. Bei jungen Frauen konnte er das Alter nur schwer schätzen. Sie hatten Brot und Käse gegessen und Wein getrunken in einer Küche, in der sich Geschirr im Spülstein türmte, hatten bis weit über Mitternacht geredet. Eine unerwartete Nähe und Vertrautheit war entstanden. Vergeblich versuchte er sich zu erinnern, was er von sich erzählt hatte, viel Persönliches wohl.
    Ihr Name wollte ihm nicht einfallen. Wie er sich auch anstrengte, es fiel ihm nur immer wieder Lynn ein. So nannte Max Frisch die junge Frau in «Montauk», mit der er als über Sechzigjähriger auf Long Island eine Affäre gehabt hatte. Ein verregnetes melancholisches Wochenende. Roberts Vortrag drehte sich um Montauk und Frisch und sein Bild der usa, aber ohne sein Notebook brachte er den Inhalt nicht zusammen. Er stellte sich Max Frisch vor, den Alten mit der Pfeife zwischen den Zähnen, und neben ihm am Strand die amerikanische Verlagsangestellte. Sie nahm Züge der jungen Marilyn an. Die unbedarfte, offene und naive Amerikanerin. Frisch interessierte sich eigentlich nicht für sie, das Wochenende geriet im Roman zur literarischen Nabelschau. Frisch und die Frauen, Frisch und die Alpen, Frisch und die

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