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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Maden. Im Frühling ist alles zu einer gleichförmigen, sozusagen klassenlosen Masse verrottet, was zuvor angefaulte Früchte, Gras, Laub und Speiseabfälle waren. Grundlage für neues Wachstum. Vielleicht musste Karl Marx als Kind im Garten seiner Eltern den Kompost umgraben und entwarf dabei seine Gesellschaftstheorie.
    Pippo hielt inne, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiss von der Stirn. Er bemerkte, dass er eine Melodie vor sich hingepfiffen hatte, während seine Gedanken ihre Spiralen zogen und seine Schaufel sich fast von selber in den Haufen bohrte. Selbst über den Kompost hatten sie gestritten. Alice verbot ihm, Orangen-und Zitronenschalen in den Sammler zu werfen, sie würden schlecht verrotten und die Erde übersäuern. Er war vom Gegenteil überzeugt. Die Schalen enthielten Abwehrstoffe, sie würden die Komposterde mit wertvollen Mineralien anreichern. Das hatte er gelesen oder gehört. Nur bei Bananenschalen fanden sie einen Kompromiss. Alice schnitt sie in kleine Stücke, so durfte er sie seinem Heiligtum übergeben. Er pfiff weiter, die Internationale. Die Worte wollten ihm nur Italienisch einfallen …
    Compagni, avanti il gran partito, noi siamo dei lavorator …
    Die Feste dell’Unità in Prato damals, rote Transparente, Parolen, endlose Reden von Funktionären, Tanz und Wein und Frauen mit schwarzen Locken und sinnlichen Lippen. Die Erinnerungen, die Illusionen und Träume. Pippo stützte sich auf die Schaufel, schloss die Augen, atmete schwer.
    Eine Versammlung im Volkshaus kam ihm in den Sinn, um 1970 herum musste es gewesen sein. Die Genossen vom Zentralkomitee der Partei sassen vorn aufgereiht in grauen Konfektionsanzügen mit schief geknoteten roten Krawatten. Der Tisch rot bezogen, Sichel und Hammer und rote Sterne überall. Links von ihm sass Robert neben Sara. Vielleicht war auch Hermann im Publikum. Toni links aussen am Tisch der Funktionäre als Vertreter der revolutionären Studentenschaft war aufgestanden, hatte den Vorschlag gemacht, zum Abschluss des Plenums die Internationale zu singen. Die Genossen vom Zentralkomitee hatten die Köpfe zusammengesteckt, getuschelt, ob das Kampflied noch konform sei mit der aktuellen politischen Linie der sowjetischen Genossen. War das Lied nicht aus der Zweiten Internationale hervorgegangen, aus den Reihen von Revisionisten und Sozialdemokraten?
    Während die führenden Genossen noch diskutierten, hatte Toni zu singen begonnen mit seinem falschen Bass, die Faust erhoben. Schliesslich hatten alle mitgesungen oder gesummt oder gepfiffen, ohne Inbrunst, den Text kannte niemand so richtig. Nur die eifrige Sara wusste alle Strophen auswendig.
    Es war eine Demonstration gegen die Fossile im Zentralkomitee gewesen, bleiche Mumien mit Sichel und Hammer im Knopfloch wie die Genossen im Kreml. Man hatte Toni nach dieser Rebellion als Vertreter der Studentenschaft aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen. Daraufhin hatten sie eine klandestine Gruppe gebildet, die Revolutionäre Zelle Zürich. Toni, Pippo, Hermann, Robert, Sara und ein paar andere.
    Pippo breitete die Folie über den Komposthaufen, beschwerte sie mit Steinen. Er hatte Durst bekommen, und der Regen hatte wieder eingesetzt.

    Wie immer, wenn er in die grosse Leere stürzte, setzte sich Hermann an seinen Computer und begann im Internet zu surfen. Er hatte Carmen im Tangoclub gefilmt und einige Clips auf Youtube hochgeladen. War sie auf Kurve, dann waren da noch immer die Videos und füllten das emotionale Vakuum. Das Netz hob alle Zeit und jede Distanz auf, machte die Menschen unsterblich. Auch seine Carmencita.
    Eines Tages war sie vor der Tür gestanden mit einer Hängetasche und High Heels. Er hatte gedacht, ah, eine Neue von Irina. Hat sich im Stockwerk geirrt. Stellt sie wieder Frauen aus der Karibik ein?
    Irrtum. Carmen sprach leidlich Mundart, sie war eine Sans-Papier, lebte schon seit langem illegal im Land. Was sie in all der Zeit gemacht hatte, blieb rätselhaft, so wie ihre Vergangenheit und ihr Alter. Sie erzählte mal dies, mal das, sah manchmal wie achtzehn aus und manchmal wie achtunddreissig. Ursprünglich stammte sie aus Buenos Aires und konnte tanzen. Ein ausserordentliches Talent, sagten sie im Club Argentino.
    Doch nun war sie weg. Nicht das erste Mal, aber bei jedem ihrer Ausflüge packte ihn die Angst, sie sei in eine Kontrolle geraten und ausgeschafft worden. Heirate mich doch, hatte er ihr einmal vorgeschlagen, dann hast du kein Problem mehr.
    Ich bin schon

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