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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Melancholie. Sagte er ja selber immer wieder. Im Grunde hatte Ruth gewisse Anlagen zur perfekten Tanguera. War die grosse Calderón nicht auch etwas füllig gewesen?
    Sein Smartphone zirpte. Er fand es in der Tasche seiner Jacke an der Garderobe beim Eingang. Auf dem Schuhkästchen darunter lagen Hemd und Unterwäsche sauber gefaltet. Nummer unbekannt, lautete die Anzeige. Er meldete sich trotzdem, man wusste ja nie.
    «Pippo.»
    «Wie bitte?»
    «Pippo. Wir wollten uns treffen.»
    «Ja richtig …»
    «Halb eins im ‹Coopi›. Du hast doch Roberts Nummer, nicht wahr?»
    Hermann hatte wieder mal seine lange Leitung, aber allmählich begann es ihm zu dämmern. Pippo hatte etwas vor. Sprach von einer Aktion, redete von Toni und davon, den Kerl in die Pfanne zu hauen.
    «Sag mal Pippo, bist du nüchtern?»
    «Wie der Papst.»
    «Woher weisst du, dass der nicht säuft? Es gibt doch ein Lied. Der Papst lebt herrlich in der Welt …»
    «Keine dummen Sprüche. Zwölf Uhr dreissig. Wir können zusammen essen. Du informierst jetzt Robert.»
    «Zu Befehl, Herr Wachtmeister.»
    Hermann schob das Smartphone in die Tasche zurück, wollte sich ankleiden, als er hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Ruth stand unter der Tür zu ihrem Rosenhimmel. In ihrer ganzen Pracht, wie sie der Schöpfer geschaffen hatte. «Heilige Madonna», entfuhr es Hermann.
    «Bist du Polizist?», fragte sie.
    «Wie kommst du drauf?»
    «Du hast mit einem Wachtmeister telefoniert.»
    «War nur ein Scherz.»
    Er spürte, dass sich in den unteren Regionen seines Körpers etwas regte. Sie folgte seinem Blick, trat einen Schritt näher, lächelte. Eigentlich, dachte er, sieht sie ganz nett aus. Von so nah. Und ohne Brille. Eigentlich schön. Eine eigene Schönheit, eine ganz besondere erotische Ausstrahlung, so rosig und prall. Ohne Falten. Und der Duft. So standen sie, betrachteten sich still versunken, bewegten sich nicht. Nur sein Glied regte und reckte sich.
    Dann brachen sie gleichzeitig in Lachen aus, er umfing sie, und sie schmiegte ihren weichen warmen Körper an ihn.
    «Komm schon.» Sie nahm ihn an der Hand.

Zwei Kaffee crème, zwei Gipfeli. Robert war der einzige Gast in dem Café am Zurlindenplatz. Auf der Spielwiese im Park lag das Wasser in Pfützen. Eine Kindergärtnerin führte ihre Klasse spazieren, die Kleinen trugen gelbe Regenmäntel, marschierten in Zweierreihe. Ein Junge stampfte in eine Wasserlache, die Kinder schrien auf. Ein Mädchen gab einem andern einen Stoss. Die Kindergärtnerin schritt ein, schaffte Ordnung. Zeigefinger erhoben, strenger Blick. Hand in Hand zogen die Kinder weiter.
    Robert bezahlte.
    Die Kellnerin bedankte sich für das Trinkgeld. «Was für ein Wetter.»
    «Ja, das Wetter.»
    Die junge Frau blieb neben seinem Tisch stehen, sah mit melancholischem Blick hinaus in den grauen Morgen. Vielleicht wäre sie gerne Kindergärtnerin, dachte Robert, oder sie träumt von Ferien oder von Weggehen in ein Land, wo immer die Sonne scheint. Wo alles noch offen ist, alles möglich.
    «Wünschen Sie noch etwas?» Sie war aus ihrem Sehnsuchtstraum erwacht.
    «Danke.»
    Draussen spannte er seinen Schirm auf, überquerte die Aemtlerstrasse zum Friedhof Sihlfeld. Betrat ihn durch ein mächtiges Portal, das an einen griechischen Tempel erinnerte. Die Sandsteinsäulen waren schwarz vom Regen. Der Eintritt ins Totenreich.
    Robert schritt auf einem Kiesweg einer düsteren Allee mit Zypressen entlang. Eine Greisin kam ihm entgegen, gebeugt unter ihrem Schirm. «Entschuldigen Sie …»
    Stumm wandte sie den Schirm gegen ihn wie einen Schild. Wie die Schilder der Polizei, als sie die Talstrasse vor dem amerikanischen Konsulat sperrten. Mit Steinen und Molotowcocktails greifen sie die Bullen an, singen Chile, Chile, Chile, Solidaridad, skandieren Ho-Ho-Ho-Chi-Minh. Schleudern den Amerikanern den Namen ihres Todfeindes entgegen. Ho Chi Minh, Revolutionär, Präsident des kommunistischen Nordvietnam. Dutzende Demonstranten werden verhaftet. Pippo, Hermann, Toni, Sara und Robert klettern über die Mauer des Botanischen Gartens und entkommen über den Schanzengraben.
    Ein Vogel krächzte, eine Krähe oder Elster. Familiengräber und Denkmäler von Prominenten da und dort, Henry Dunant, Johanna Spyri, August Bebel. Auf einem Familiengrab las er den Namen Wehrli und erinnerte sich an seine Ankunft am Flughafen. Herr Wehrli, sein Doppelgänger, war nicht angekommen. Verschollen wie sein Koffer.
    Das Fundbüro hatte sich nicht mehr gemeldet, sein

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