Zopfi, Emil
Backsteinhallen neben Fabrikkanälen. In einem Museum Kerouacs Rucksack, Wanderschuhe und Feldflasche in einer Glasvitrine. Ein ausgeflippter, wilder Typ, der soff, kiffte und kokste, sich mit Frauen herumtrieb und geniale Bücher schrieb. Für «On the Road» hatte er sich drei Wochen eingeschlossen und das Manuskript auf eine endlose Papierrolle getippt.
«Ich würde Sie gern zu einem Kaffee einladen. Aber leider bin ich im Dienst.» Der Polizist deutete gegen das Haus, wo Arbeiter Fenster herausrissen und in eine Mulde im Vorgarten warfen. Noch immer hing das Transparent an der Fassade. «Dieses Haus ist besetzt.» In einigen Monaten würde hier ein gesichtsloser Bau stehen, Mietwohnungen für brave Menschen, mittelmässige Mittelstandsfamilien mit regelmässigem Einkommen. Die Graffiti nur noch Erinnerung in den Speichern einiger Digitalkameras. Der feuerspeiende Drache mit den Flügeln, das Raumschiff und der Regenbogen.
Der Polizist begleitete Robert zur Bushaltestelle auf der andern Strassenseite, half ihm, ein Ticket zu lösen. Robert stieg ein. Der Mann hob die Hand. Robert schien es, als verabschiede er sich nicht von ihm, sondern von einem Traum.
Er setzte sich ans Fenster. Ariane fiel ihm ein. Warum sie ihn nicht geweckt hatte, fragte er sich, bevor die Polizei das Haus räumte. Er versuchte sie anzurufen, doch nur ihre Stimme aus der Combox antwortete.
Der Espressokocher fauchte, Dampf stieg hoch und verbreitete den Duft Italiens. Pippo schraubte die Gasflamme zurück, goss den Kaffee in eine kleine Tasse, gab Zucker dazu. Er hatte auf einer Liege im Gartenhaus übernachtet, fühlte sich elend und zerschlagen.
Düfte wecken Erinnerungen, hatte er einmal gelesen. Es hatte etwas an sich. Der Morgenkaffee führte ihn stets zurück in jene Zeit in der Kooperative am Monte Cavallo. Es war die glücklichste seines Lebens gewesen. Damals war er seinen Visionen eines selbstbestimmten, freien Lebens am nächsten gekommen. Die steinige Erde der steilen Hänge gab wenig her. Olivenöl, Käse, etwas Gemüse, Schaffleisch. Das genügte kaum zum Leben, zum Überleben. Für die italienischen Genossen gab es Unterstützung vom Staat. In jenen Jahren förderte ein Gesetz die Landkooperativen, die Arbeitsplätze für Junge schufen.
Eines Tages war Tscharner aufgetaucht, in einem weissen Golf war er die steinige Strasse heraufgefahren, war ausgestiegen, hatte sich umgesehen. Pippo sass beim zweiten Frühstück, es war Olivenernte. November, eine harte, kalte Zeit. Zuerst hatte er Toni gar nicht erkannt, ohne wilde Mähne und in sauberen Jeans. Von Pippos Mutter im Wägital habe er die Adresse erfahren und gedacht, er schaue mal vorbei. Er fahre weiter nach Rom, geschäftlich. Eine Frau war bei ihm, elegant gekleidet und geschminkt. Naserümpfend setzte sie sich auf die Bank in der grossen Küche, rührte nicht mal einen Kaffee an. Toni schwatzte. Er war inzwischen beim Fernsehen, Reportagen und so. Was er eigentlich wollte, erfuhr Pippo erst, als er seine Fiche las.
«S. lebt in einer sogenannten ‹Cooperativa giovanile› bei Calenzano, Toskana. Offensichtlich keine Kontakte zu linken Terrorgruppen wie Brigate Rosse oder Potere Operaio. Aufenthalt von B. sei ihm unbekannt, behauptet er.»
Pippo hatte Toni zum Auto begleitet. Seine Assistentin, wie er die Dame nannte, sass auf dem Beifahrersitz und feilte sich die Nägel. Sie standen nebeneinander, irgendwie verlegen. Dann war Toni unvermittelt näher getreten, hatte leise gesagt: Ich danke euch, dass ihr mich nicht in die Pfanne gehauen habt.
Wir waren doch Genossen, hatte Pippo hingeworfen.
Wenn du was brauchst, ruf mich an.
Pippo hatte nur den Kopf geschüttelt. Er war frei, nach zwei Jahren Knast bei guter Führung auf Bewährung. Er brauchte nichts, nicht von einem, der Karriere machen wollte und offensichtlich das Hemd gewechselt hatte. Gelb statt rot.
Weisst du eigentlich, was aus Robert geworden ist?
Keine Ahnung.
Er soll in den USA leben.
Kann sein. Ich weiss nichts.
Falls du etwas erfährst … Er steckt Pippo eine Visitenkarte zu. Schweizer Fernsehen. Anton Tscharner, Redaktor.
Na dann, wir sehen uns.
Pippo breitete Zeitungsausschnitte auf dem Tisch aus. Alte Genossen. Tscharner bei der Besetzung des Kernkraftwerksgeländes in Kaiseraugst 1975. Tscharner Fernsehreporter bei den Zürcher Jugendunruhen 1980. Tscharner bewirbt sich um eine Lizenz für seinen privaten Fernsehsender 1994. Tscharner im Vorstand der Volkpartei der Stadt Zürich
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